Aktuelles zu Tucholsky

 Themenarchiv
  Tucholsky und die Satire

Diskussionsforum eingerichtet

Ein Kind seiner Zeit. »KurtT« auf der Tucholsky-Bühne in Minden

Tucholsky-Werke gemeinfrei

Tucholskys Tod: Viele Gründe, keine Erklärung

Tucholsky-Ausstellung in Kleinmachnow

Deserteursdenkmal in Ulm aufgestellt

"Schloß Gripsholm" in München inszeniert

Weltbühne-Ausstellung in Rheinsberg

100 Jahre "Die Weltbühne"

Band 11 der Gesamtausgabe erschienen

Besuch in Mariefred - 400 Jahre Reisen und Tourismus

Offener Brief zum Deserteurdenkmal in Ulm

Auschreibung Tucholskypreis 2005

Sudelblog.de: Das Weblog zu Kurt Tucholsky

Band 12 der Gesamtausgabe erschienen

Tagungsband 2003 erschienen

Schwedischer Tucholsky-Preis für Yvonne Vera

Band 8 der Gesamtausgabe erschienen

Tucholsky-Literaturmuseum eröffnet

Tagung zu Heine und Tucholsky

Tagungsband 2001 erschienen

Biographie von Fritz J. Raddatz

ZDF-Serie "Unsere Besten"

70 Jahr Bücherverbrennung

 
  Tucholsky und die Satire

Im Streit um der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen ist sehr häufig das Diktum Kurt Tucholskys "Die Satire darf alles" zitiert worden. Dass Tucholskys Satireverständnis allerdings wesentlich differenzierter war, zeigt der folgende Text, der am 21. Februar 2006 in der "Netzeitung" erschien. Die Links verweisen auf die vollständigen Originaltexte und -briefe.


«Gute Leute! Nicht schießen!»

Satire darf alles - Kurt Tucholskys Behauptung wird in der Karikaturendebatte viel zitiert. Es ist längst nicht das letzte Wort, das er in dieser Sache zu sagen hatte.

Von Friedhelm Greis
Kurt Tucholsky gehört nicht gerade zu den Autoren, die von der «Bild»-Zeitung bevorzugt zitiert werden. Aber deren Kolumnist Franz Josef Wagner machte sich aus Anlass des Satirestreits Gedanken über die Grenzen der Satire und bemerkte: «'Was darf die Satire? Alles', meinte Kurt Tucholsky, der größte deutsche Satiriker. Ich denke, dass hier Tucholsky irrt.» Mit der Begründung: «Religion ist das Gespräch mit dem Jenseits», – und sei die einzige Hoffnung im Angesicht des Todes.
Wenn ernste Männer über Religion sprechen...
Hätte sich Tucholsky zu Lebzeiten über Wagners Jenseitsglauben lustig gemacht? Wohl kaum. «Wenn ernste und große katholische Männer über ihre Religion sprechen und nur über diese, so schweige ich», schrieb er im Juli 1930 in einem Brief an die Journalistin Marierose Fuchs. Auch zu den Grenzen und Möglichkeiten der Satire hat sich Tucholsky wesentlich differenzierter geäußert, als es das vielzitierte Diktum 'Satire darf alles' vermuten lässt. Dem promovierten Juristen Tucholsky dürfte klar gewesen sein, dass die Satire keinen Freibrief für Schmähungen und Verunglimpfungen besitzt. Für ihn besitzen die Satiriker eine gewisse Sonderstellung im Journalismus, aber auch eine besondere Verantwortung. Erstaunlich früh, mit 22 Jahren, hatte Tucholsky diese lebenslang gültige Überzeugung formuliert. In dem 1912 erschienenen Text «Die moderne politische Satire in der Literatur» forderte vom politischen Karikaturisten «daß man verstanden haben muß, bevor man karikiert, daß man überhaupt nur das satirisch behandeln kann, was man in seinem tiefsten Kern begriffen hat». Um im Gegenzug zu postulieren: «Der Satiriker darf keine, aber auch gar keine Autorität anerkennen. Das widerstrebt den Priestern der Autorität und den Halben, Lauen, und niemals werden sie eine künstlerisch gute Satire hervorbringen können.»
Bitte informieren
Selbst wenn der Satire als literarischer Gattung alles erlaubt ist, darf im Sinne Tucholskys nicht jeder Autor zu jedem Thema alles sagen. 20 Jahre später hatte sich an dieser Überzeugung nichts geändert. «Dabei sind diese Leute nicht einmal gut informiert, was ja die erste Bedingung für eine gute Satire ist», kritisierte er 1932 den «Simplicissimus» in einem Brief an die Schriftstellerin Annette Kolb. Darf man als Atheist daher keine Witze über religiöse Dinge machen? Der unter dem Titel «Briefe an eine Katholikin» veröffentlichte Gedankenaustausch mit der Journalistin Marierose Fuchs gibt Aufschluss darüber, wie sich der protestantisch getaufte Jude Tucholsky den Dialog mit Gläubigen und Religionsvertretern vorstellte. Auslöser des Briefwechsels war ein typisches Missverständnis in dieser Art von Auseinandersetzung: «Ist nicht überall sauber unterschieden zwischen der Kirche als Hort des Glaubens, über den ich mich niemals lustig gemacht habe – und der Kirche als politische Institution im Staat?», antwortete Tucholsky auf entsprechende Vorwürfe, die Fuchs erhoben hatte.
Allergische Reaktion
Wenn die Kirche aber in politischer Funktion agierte, wollte Tucholsky ihr keinerlei Privilegien zugestehen: «Daß die Partei des Zentrums sich eine Ausnahmestellung anmaßt, die ihr nicht zukommt. Das gibt es nicht. Hier ist keine Satire zu scharf», verdeutlichte er im Dezember 1930 seine Position. Besonders allergisch reagierte er, wenn Religionsvertreter den Anspruch erhoben, die Nichtgläubigen «Mores» lehren zu wollen: «In dem Augenblick aber, wo die Kirche sich erdreistet, uns andern ihre Sittenanschauungen aufzwingen zu wollen – unter gleichzeitiger Beschimpfung der Andersdenkenden als 'Sünder' – in dem Augenblick halte ich jede politische Waffe für erlaubt – auch den Hohn, grade den Hohn. Und zwar nicht den dummen, abgestandenen gegen die Pfarrersköchin – grade den lehne ich aus tiefstem Herzen ab.» Da Tucholsky selten zu diesen Mitteln griff, wurde er nur ein einziges Mal wegen Gotteslästerung angezeigt. Die Staatsanwaltschaft erhob aber nicht einmal Anklage.
Bitte nicht schießen
Dass man sich als Satiriker wenig Freunde macht, wusste Tucholsky freilich aus leidvoller Erfahrung zu berichten. Schon der Text «Was darf die Satire?» war ein einziger Appell an die politischen Kontrahenten, satirische Angriffe nicht bierernst, sondern mit einem gewissen Humor zu nehmen. «Wir sollten nicht so kleinlich sein. (…) Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt.» Diese Aufforderung verhallte im politisch aufgeheizten Klima der Weimarer Republik ungehört. Als Rechtfertigung für Tucholskys 1924 erfolgten Umzug von Berlin nach Paris könnte der Artikel «Wie mache ich mich unbeliebt?» vom Oktober desselben Jahres dienen. Er endet mit einem fast verzweifelten Appell: «Dem Satiriker gab ein Gott zu sagen, was sie treiben. (...) Die Würde muß es sich gefallen lassen, daß sie manchmal am Bart gezupft wird. (Auch Bartlose haben einen Bart, mitunter.) Denn die moderne Sorte Humorist muß heute noch mit einem Schutzpanzer umhergehen: Gute Leute! Nicht schießen!»
Tucholskys Seufzer
Gläubigen Politikern und politischen Glaubensvertretern scheint es generell schwer zu fallen, religiöse Überzeugungen und politische Forderungen zu trennen. Bis heute. «So etwas von Empfindlichkeit war überhaupt noch nicht da. Ein scharfes Wort, und ein ganzes Geheul bricht über unsereinen herein: Wir sind verletzt! Wehe! Sakrileg! Unsre religiösen Empfindungen...Und die unsern –?» – Wer fühlt sich bei diesem Seufzer Tucholskys nicht an die momentane Situation erinnert? Die meisten Kommentatoren sind mit Blick auf Tucholskys Satireverständnis zu der Überzeugung gelangt, dass die Mohammed-Karikaturen wenig bis nichts mit Satire gemein hatten. Daraus zu folgern, Satire sei in der Auseinandersetzung mit Religionsvertretern generell fehl am Platze, liegt dagegen nicht im Sinne des «größten deutschen Satirikers». Gelegentliches Geheul wird dabei kaum zu vermeiden sein. Aber um es noch einmal zu wiederholen: «Gute Leute! Nicht schießen!»

Links:

Der Originaltext in der Netzeitung

Tucholsky-Texte auf www.sudelblog.de:

Was darf die Satire?

Die moderne politische Satire in der Literatur

Wie mache ich mich unbeliebt?

Brief an eine Katholikin

Brief an Marierose Fuchs (14.8.1929)

Brief an Marierose Fuchs (17.12.1929)

Brief an Marierose Fuchs (28.7.1930)

Brief an Marierose Fuchs (27.12.1930)

Brief an Annette Kolb

 
  Diskussionsforum eingerichtet

Die Tucholsky-Gesellschaft hat auf ihren Internet-Seiten ein Diskussionsforum eingerichtet. Es verfügt über offene und geschützte Bereiche.

In den offenen Foren kann jeder Nutzer ohne Registrierung allgemeine Fragen zu Tucholsky oder zur Tucholsky-Gesellschaft stellen oder sich an bestehenden Diskussionen beteiligen.

Die geschützten Foren dienen dazu, den KTG-Mitgliedern einen besseren Einblick in die Tätigkeiten des Vereins zu gewähren. Daher sollen dort auch Vorstandsprotokolle und andere interne Dokumente veröffentlicht werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, zu bestimmten Themen Abstimmungen durchzuführen und somit ein Meinungsbild der Mitglieder zu erhalten. Da diese Diskussionen von rein internem Interesse sind, haben nur KTG-Mitglieder die Möglichkeit, sich für diesen Bereich anzumelden und diese Unterlagen einzusehen. Die Registrierung wird daher auf Namen und Wohnort hin überprüft. Anschließend erhalten die neuen Nutzer eine Bestätigung über ihre Anmeldung und können im Forum uneingeschränkt Artikel lesen und schreiben.

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  Ein Kind seiner Zeit

»KurtT« auf der Tucholsky-Bühne in Minden

2 Jubiläen + 1 Geburtstag = 1 Biographical: Um es vorwegzunehmen: die Rechnung ging auf! Just am Geburtstag Tucholskys, dem 9. Januar, hatte in Minden das Biographical »KurtT« von Eduard Schynol Premiere. Die Tucholsky-Bühne der Weser-Stadt hatte bewusst diesen Termin gewählt, denn:
1. ging es eben um Kurt Tucholsky,
2. feiert die von Lehrern und Schülern gegründete Bühne ihr zehnjähriges Bestehen und
3. trägt die Kurt-Tucholsky-Gesamtschule seit 20 Jahren den Namen des Schriftstellers und Journalisten.

Dass sowohl die Schule als auch Eduard Schynol als Lehrer dort und Bernd Brüntrup als Mann »dahinter« Mitglieder in der KTG sind, sei hier nur am Rande erwähnt. Die Schulpatin Brigitte Rothert, einzig noch lebende Verwandte Tucholskys, ließ es sich nicht ebenfalls nicht nehmen, bei der Premiere des Biographicals dabei zu sein. Auch der KTG-Vorstand mit seinem Vorsitzenden Wolfgang Helfritsch war vollzählig versammelt. Und viel Publikum kam.

»Wer ist KurtT.?«, diese Frage wurde mit Szenen, Songs und Gedichten beantwortet. Was das Ensemble aus Lehrern, Schülern und Bürgern der Stadt darbot war weder eine Biographie, noch ein Musical – trotz Tanzeinlagen und Rockrhythmen mit Soultimbre. Das Wort »Biographical« trifft es: Tucholsky, sein Leben, sein Werk, seine Bedeutung für die Menschen damals wie heute, wurden auf der Bühne reflektiert. Nichts beschönigt, auch die Schwächen herausgestellt, die Zweifel, die Not eines Publizisten ohne Aufgaben.

»Er war dein Freund, war dein Feind«, sang das Ensemble, »er war mein Mann dann und wann«. Und die Schlussfolgerung des Chores stimmte auch: »Kurt ist ein Kind seiner Zeit und er steckt bis zum Hals in ihr drin«. Neben KT’s Menschlich-allzu-Menschlichem kam seine politische Haltung zu den Nationalsozialisten nicht zu kurz. Und das Ende des engagierten Mannes, zweimal: zu Beginn und zum Schluss des Biographicals.

Es gab starken Applaus für die 17 Mitwirkenden auf der Bühne, 14 dazu hinter der Bühne, für Eduard Schynol aus Regisseur, der auch Texte für Songs und Szenen beisteuerte. Edwin Tonagel und Oliver Vogtmeyer sorgten nicht nur für die Musik, sondern komponierten alle Songs neu. Tucholsky in neuen Gewändern – das war sehr passend zum Charakter der Aufführung. Ein besonderes Kompliment muss man den Bühnenbildnern machen: Mit wenig Requisiten und originellen Entwürfen, die Umbauten wurden von den Mitwirkenden selbst vorgenommen, waren die Texte in Szene gesetzt. Herausragend als Gesangssolistin war Silvia Eyres, kein Wunder, sie kommt aus der Mindener Rock- und Countryszene. Die zweite Gesangssolistin Claudia Kurz war eine ehemalige Schülerin. Vom Ensemble übernahm jeder einzelne mehrere Rollen, so gab Udo Schmid-Loertzer den grässlichen Richter, der Carl von Ossietzky verurteilte, aber auch den Tucholsky-Freund Karlchen und einen strammen Soldaten. Und der Darsteller von »KurtT«, Christoph »Charlie« Braun, trennte sich eigens für die Aufführung von seinem Bart.

Es würde zu weit führen, auf die Darbietungen und die Darbietenden einzeln einzugehen. Einhellig waren die Vorstandsmitglieder mit Brigitte Rothert nach der Premiere der Meinung, dass das Biographical »großartig« in seiner Aussage und deren Umsetzung sei. Dass sich der Mindener Bürgermeister Michael Bühre die Ehre gab, der Premiere beizuwohnen, sagt dazu viel aus, ebenso das große Publikumsinteresse. Bis zum 4. März wird »KurtT« insgesamt zehn Vorstellungen erlebt haben. Alle KTG-Mitglieder haben aber die Gelegenheit, sich von diesem Solitär vieler Tucholsky-Würdigungen während der kleinen Tagung im September in Minden selbst ein Bild zu machen und festzustellen, dass »KurtT« auch heute noch, und besonders in Schulen, viel mitzuteilen hat.

Renate Bökenkamp
Auftrittstermine: 3.2.2006, 23.2.2006, 24.2.2006, 3.3.2006, 4.3.2006, Beginn 20 Uhr im TiC Theater im Café, beim Stadttheater Minden

Links:

Tucholsky-Bühne Minden

Premierenbericht im "Mindener Tageblatt"


Christoph Braun als "KurtT".
Foto: Ulrich Keller
 
  "KurtT" - ein Biographical

Am 9. Januar 2006 hat in der Mindener Kurt Tucholsky-Bühne das Theaterstück "KurtT - ein Biographical" Premiere. Zum 70. Todestag ihres Namensgebers möchte die Bühne das Leben des Schriftstellers und dessen Zeit in Wort und Musik Revue passieren lassen. Die Texte stammen von Eduard Schynol, der auch Regie führt. Die zehn Songs sind aus der Feder von Edwin Tonagel und Oliver Vogtmeyer.

KTG-Mitglied Eduard Schynol sagt zu seinem Stück:

Aber KurtT ist keine Biografie. Zwar sind alle Daten, Personen und deren Beziehungen zu Kurt Tucholsky und untereinander historisch korrekt, doch zuallererst hielt ich mich an Tucholskys Credo: "...es gibt ein Kunstgesetz, das ewig ist: wir wollen nicht gelangweilt werden." Also habe ich ausgewählt und gekürzt. Es sollte auch kein Musical werden, obwohl die Musik mit insgesamt 10 Songs sehr dominant ist. So ist mein Stück also ein Biographical geworden.
Links:

Tucholsky-Bühne Minden


 
  Tucholsky-Werke gemeinfrei

Mit dem 31. Dezember ist nicht nur das Jahr 2005, sondern auch der Urheberschutz für die Werke Kurt Tucholskys abgelaufen. Seit dem 1. Januar 2006 können seine Texte beliebig vervielfältigt und aufgeführt werden. Die bisherige Inhaberin der Rechte, die Tucholsky-Stiftung, muss in Zukunft auf ihre Lizenzeinnahmen verzichten. Ebenfalls wird der Rowohlt-Verlag nicht mehr exklusiv die Werke Tucholskys vermarkten können.

Verschiedene Verlage haben bereits eigene Tucholsky-Ausgaben angekündigt (DTV, Diogenes). Auch im "Projekt Gutenberg", das digitalisierte Werke sammelt, sind bereits einige Texte nachzulesen, darunter auch die komplette Erzählung "Schloß Gripsholm".

 
  Tucholskys Tod: Viele Gründe, keine Erklärung
Daß ich mein Leben zerhauen habe, weiß ich; Daß ich aber nicht allein daran schuld war, weiß ich auch ... Mich haben sie falsch geboren.
Kurt Tucholsky, 1935
Am 21. Dezember 1935, kurz vor 22.00 Uhr, starb der Mann mit den fünf PS im Göteborger Sahlgrenschen Krankenhaus. Der nach eigenem Bekunden »aufgehörte« Schriftsteller war nach einer hohen Dosis von Barbituraten, wahrscheinlich in der lebensgefährdenden Kombination mit einem seiner Lieblingsgetränke Rotwein oder Whisky, ins Koma gefallen, in das Klinikum eingeliefert worden und trotz ärztlichen Bemühens nicht mehr ins Leben zurückgekehrt.

70 Jahre später sind die genaueren Umstände seines Todes nach wie vor ungeklärt, und dabei wird es wohl auch bleiben. Ob er mit Absicht aus dem Leben schied oder ob der Tod ein selbstverschuldetes Versehen war, ist ebenso wenig aufzuhellen wie der Verdacht, daß er von den Nazis in der schwedischen Emigration umgebracht wurde. Er wäre nicht der erste und nicht der letzte gewesen, dem dieses Schicksal widerfahren ist. Fest steht, daß der Haß der Nazis auf den schonungslosen Kritiker anhielt, nachdem er sich der unmittelbaren Zugriffsmöglichkeit entzogen hatte. Fest steht auch, daß sich Tucholsky in seinem Haus in Hindas zeitweilig beobachtet und bedroht fühlte. So berichtete er seiner Schweizer Freundin Dr. Hedwig Müller von um sein Domizil schleichenden Personen, von nächtlichen Klingelattacken und von Sandwürfen gegen sein Fenster. Daraus resultierte, daß er einen Polizisten mit Hund zu seinem Schutz anforderte und sich zum Selbstschutz eine Pistole zulegte. Für Einwirkungen von außen oder für eigenes »Versehen« spräche auch das Tucholsky wesensfremde Verhalten, sich von den ihm besonders Nahestehenden nicht wenigstens brieflich verabschiedet zu haben – auch nicht von Walter Hasenclever, auf dessen für Februar 1936 angekündigten Besuch er sich nachweislich freute.

Aber auch die Gespräche von Tucholsky-Forschern mit seiner letzten Gefährtin Gertrude Meyer vermochten es nicht, die Vorgänge in der letzten Lebensphase und am Todestage eindeutig aufzuhellen. Folgen wir der Suizid-Variante, liegen die Ursachen seiner Selbstaufgabe weniger im Dunkeln als die Umstände seines Todes. Da war die bittere Enttäuschung über die Entwicklung der politischen Verhältnisse im Nazireich, das Tucholsky die Staatsbürgerschaft aberkannte und seine Bücher am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz in die Flammen warf. Es war so gekommen, wie er vorausgesagt hatte, und seine Landsleute hatten in ihrer Mehrzahl der Entwicklung einer Katastrophe zugesehen. Da war die körperliche Erschöpfung gegenüber einer zermürbenden und schmerzhaften Krankheit, die dem sensiblen Mann schwer zu schaffen machte, und da war die Unfähigkeit, mit seinen persönlichen Verhältnissen zurecht zu kommen und jene Frauen vor tiefer Enttäuschung zu bewahren, die ihm bis zuletzt selbstlos zur Seite standen.

Der Mann mit den 5 PS hinterließ uns ein Werk von bedrückendbedrohender Aktualität. Die großen Fragen der Weltpolitik waren ihm nahe, und die kleinen Dinge des Alltages lagen ihm nicht fern. Er empfand viel zu tief, um sich mit seinem »Lerne lachen ohne zu weinen« identifizieren zu können. Tucholskys reiches und scharfzüngiges Werk möge uns dazu auffordern, das Verhältnis zum Autor sieben Jahrzehnte nach seinem Tode zu überdenken und die Nähe zu seiner und unserer Zeit zu hinterfragen. Allein des Dichters und Journalisten Plädoyer für ein »Haus Europa« und sein kompromißloser Pazifismus belegen, daß er nichts von seiner Aktualität verloren hat. »Entsetzlich!«, beklagte Alexej Tolstoi Anfang 1936 Tucholskys frühen Tod. »Dieser Mensch hatte alle Chancen, der Heine des XX. Jahrhunderts zu werden!«

Wolfgang Helfritsch
Tucholskys Grab in Mariefred
Tucholskys Grab in Mariefred
 
  Tucholsky-Ausstellung in Kleinmachnow

"… etwas bleibt immer zurück" lautet der Titel einer Ausstellung, die aus Anlass von Tucholskys 70. Todestag vom 3. Dezember 2005 bis 20. Januar 2006 im Rathaus Kleinmachnow zu sehen ist. Die Ausstellung dokumentiert in chronologischer Form das Schaffen Tucholskys.

Gezeigt werden 126 Exponate, vor allem Originaldokumente, Erstausgaben der Bücher Tucholskys, Zeitschriftenbeiträge, Zeitungsartikel und auch zwei persönliche Widmungen Tucholskys.

Die Ausstellung wird am Donnerstag, den 2. Dezember, um 19.30 Uhr mit einem Vortrag von Roland Templin eröffnet. Templin hat die Ausstellung organisiert und ein bebildertes und kommentiertes Verzeichnis der Exponate zusammengestellt. Am Mittwoch, den 14. Dezember, liest Helga Bemmann aus ihrer Tucholsky-Biographie vor. Die Lesung beginnt um 19.30 Uhr, der Eintritt beträgt 5 Euro.

Mehr dazu:
"Der Reiz der Originale" -
Die "Potsdamer Neuesten Nachrichten" über Ausstellung

Der Katalog der Ausstellung (PDF-Datei, 4 MByte)

 
  Deserteursdenkmal in Ulm aufgestellt

Nach einer Debatte von 16 Jahren ist es Friedensaktivisten in Ulm gelungen, das umstrittene Denkmal für Deserteure im öffentlichen Raum der Stadt aufstellen zu dürfen. Am Samstag, den 19. November 2005, fand das Denkmal seinen Platz im Lehrer Tal, in der Nähe des Ulmer Botanischen Gartens. Das Denkmal soll an die rund 30.000 Deserteure der deutschen Wehrmacht erinnern, die im Zweiten Weltkrieg zum Tode verurteilt worden waren und von denen 20.000 hingerichtet wurden.

Die rund fünf Tonnen schwere Skulptur trägt eine Inschrift aus dem Text "Die Tafeln" von Kurt Tucholsky: "Hier lebte ein Mann, der sich geweigert hat, auf seine Mitmenschen zu schießen. Ehre seinem Andenken!" Aus diesem Grund hatte die Kurt Tucholsky-Gesellschaft im März dieses Jahres einen offenen Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Ulm verfasst, in dem für eine Aufstellung des Denkmals im öffentlichen Raum plädiert wurde. Zwar wurde ein entsprechender Antrag der Grünen-Fraktion anschließend vom Ulmer Gemeinderat abgelehnt, doch eine Einigung zwischen dem Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner und Grünen-Fraktionssprecher Markus Kienle machte es nun möglich, das Denkmal aufzustellen.

Hintergründe:

Denkmal hat jetzt öffentlichen Platz
Die "Schwäbische Zeitung" über die Aufstellung des Denkmals

Der offene Brief im Wortlaut

"Stein des Anstoßes" unerwünscht
Die "Südwestpresse" über die Debatte

"Die Tafeln":
Der Artikel von Ignaz Wrobel

Das Deserteurdenkmal in Ulm
Das Denkmal "Stein des Anstoßes"
 
 "Schloß Gripsholm" in München inszeniert

Auch wenn der Sommer meteorologisch bereits zu Ende ist, in München kann er noch den Rest des Jahres genossen werden. Im "Teamtheater Tankstelle" hatte am vergangenen Mittwoch eine Theaterstück Premiere, das auf Kurt Tucholskys Sommergeschichte "Schloß Gripsholm" basiert. Die Erzählung wurde von Horst Ulrich Wendler zu einem Vier-Personen-Stück umgearbeitet und von Regisseur Ernst Matthias Friedrich inszeniert. Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb über die Premiere:

Der Sommer ist eine Frau. Oder zwei Frauen. Damit kommt man im Teamtheater Tankstelle recht weit. Weit in eine Blumenwiese hinein, auf der man dann die Seele baumeln lassen kann. (..)

Leider schwankt der Abend unentschieden zwischen Epik und Drama, aber vielleicht stellt sich der Sommernachtsduft noch ein. Potenzial dazu wäre genug da.

Das Stück ist an vier Abenden in der Woche noch bis Ende Dezember zu sehen.

Links:

Das Teamtheater Tankstelle

Hintergründe zu "Schloß Gripsholm"

Die kommenden Vorstellungstermine

 
 "Mit Haß aus Liebe":
Weltbühne-Ausstellung in Rheinsberg

Auch wenn der 100. Geburtstag der Weltbühne in den Medien etwas stiefmütterlich behandelt wurde: Bis zum 22. Dezember gibt es im Schloss Rheinsberg noch die Gelegenheit, sich ausführlich mit der Geschichte der legendären Zeitschrift zu befassen. Eröffnet wurde die Ausstellung "Mit Haß aus Liebe" am 10. September von der brandenburgischen Kulturministerin Johanna Wanka (CDU). Im Beisein zahlreicher Weltbühne-Fans erinnerte Wanka an die publizistische Bedeutung des Blattes, die im starkem Kontrast zu dessen geringer Auflage gestanden habe. Die Ministerin konnte auch zwei Besucher begrüßen, die eigens aus England zur Ausstellungseröffnung angereist waren: Eric Bourne, Sohn des Schau- und Weltbühne-Leitartiklers Robert Breuer, und seine Frau Lois Graessle. Bourne wurde 1925 in Berlin als Ulrich Borchard geboren und musste sich nach der Flucht aus Deutschland in Großbritannien eine neue Existenz aufbauen. Sichtlich gerührt war er daher, als er in der Ausstellung die Vitrine entdeckte, die dem Wirken seines Vaters gewidmet ist. Für ihn ein Zeichen dafür, dass dessen Name trotz Verfolgung und tragischem Flüchtlingsschicksal nicht ganz vergessen ist.

Peter Böthig, Leiter des Tucholsky-Literaturmuseums, wies in seiner Rede darauf hin, dass sich die literarischen Museen angesichts knapper öffentlicher Haushalte in einer schwierigen Situation befänden. Daher freue er sich darüber, dass die Kulturministerin persönlich zur Ausstellungseröffnung erschienen sei, um sich von der Qualität der geleisteten Arbeit überzeugen zu können. Dennoch muss das Museum in diesem Jahr eine Kürzung seines Budgets in Höhe von 20.000 Euro hinnehmen.

Bevor der offizielle Rundgang durch die Ausstellung erfolgte, trug der Schauspieler Christian Bormann mehrere Texte aus der Redaktionskorrespondenz der Weltbühne vor. Bei dem Rundgang selbst konnten die Besucher feststellen, dass die Ausstellung nicht nur die Jahre der "Original"-Weltbühne zwischen 1905 und 1933 betrachtet, sondern sich auch mit dem Schicksal der Exil-Zeitschriften in Wien, Prag und Paris befasst. Die Rolle der Nachkriegs-Weltbühne wird ebenfalls beleuchtet, deren Entstehungsgeschichte anhand von historischen Dokumenten beschrieben. Erwähnung finden auch die seit 1997 existierenden Nachfolge-Blätter Das Blättchen und Ossietzky. Der Großteil der Ausstellung behandelt natürlich die Entwicklung der kleinen Theaterzeitschrift Die Schaubühne zu dem Forum der intellektuellen Linken in der Weimarer Republik. Erläutert wird diese Entwicklung anhand verschiedener Themen sowie der Lebensläufe der Weltbühne-Herausgeber Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky und anderer wichtiger Autoren.

Die Ausstellungsmacher Peter Böthig und Sunhild Pflug haben außerdem zahlreiche Originaldokumente und Originalausgaben zusammengetragen, die ein gewisses Flair der damaligen Zeit vermitteln. Die Idee für die Ausstellung stammte von Stefanie Oswalt, die auch bei der Konzeption beratend zur Seite stand.

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 9.30 - 12.30 und 13 - 17 Uhr geöffnet.

Fotos von der Ausstellungseröffnung

Links:

Wikipedia-Artikel über die "Weltbühne"

Wikipedia-Artikel über Robert Breuer

Die Ausstellung im Tucholsky-Museum

 
  100 Jahre "Die Weltbühne"

Vor 100 Jahren, am 7. September 1905, ist in Berlin zum ersten Mal die Theaterzeitschrift "Die Schaubühne" erschienen. Das von Siegfried Jacobsohn begründete Blatt war von 1913 an Tucholskys wichtigstes Publikationsorgan und sollte sich unter seinem Einfluss einem breiteren Themenspektrum öffnen, was 1918 zur Umbenennung in "Die Weltbühne" führte.

Aus Anlass des Jubiläums ist vom 10. September bis 13. November 2005 im Tucholsky-Literaturmuseum in Rheinsberg die Ausstellung "Mit Haß aus Liebe" - Ansichten der "Weltbühne" zu sehen. Zur Ausstellungseröffnung am 10. September, 11 Uhr, spricht die brandenburgische Kulturministerin Johanna Wanka ein Grußwort. Auch werden Texte aus dem Redaktionsalltag der "Weltbühne" vorgetragen.

Ebenfalls am 10. September laden der Freundeskreis des "Blättchens" und die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu einer Gedenkveranstaltung ein. Die Veranstaltung beginnt um 16.30 Uhr am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin-Friedrichshain.

Links:

Wikipedia-Artikel über die "Weltbühne"

KTG-Rundbrief: Der Streit um die Titelrechte

Die "Berliner Zeitung" zum Jubiläum

Die Ausstellung im Tucholsky-Museum

Umschlag der 'Weltbühne' vom12.3.1929
 
  Band 11 der Gesamtausgabe erschienen

Die Kurt-Tucholsky-Forschungsstelle der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg hat den elften Band der Tucholsky-Gesamtausgabe veröffentlicht. Dieser Band enthält die Tucholsky-Texte aus dem Jahr 1929, einem Jahr, das für Tucholsky privat von einem langen Aufenthalt in Schweden, publizistisch von der Veröffentlichung des Deutschland-Buches und politisch von einem verschärften Kampf mit den reaktionären Kräften der Weimarer Republik geprägt war.

Im ersten Teil des Bandes haben die Herausgeber Ute Maack und Viktor Otto 178 Originaltexte versammelt. Davon sind 25 bislang nicht in den "Gesammelten Werken" nebst Ergänzungsbänden veröffentlicht worden. Ein Text, "Über den Dächern", wurde außerdem neu datiert. Von den "neuen" Texten ist sicherlich "Hoppe - Hoppe - Reiter!" am interessanten zu lesen, weil er sich mit dem Verhältnis des Intellektuellen zu den Gewerkschaften auseinandersetzt und durch die VW-Korruptionsaffäre eine große Aktualität besitzt. So schreibt Tucholsky:

Habe ich alle Gewerkschaftssekretäre beleidigt? Vielleicht steckt jener Kritiker seine Nase einmal in die 'Soziologie des Parteiwesens' von Robert Michels. Er wird darin finden, daß es eine Art von Gesetz gibt, dem leider alle die unterliegen, die sich nicht dagegen aufrappeln können: ein Gesetz, wonach der Vertreter der Arbeiterinteressen sich rasch dem Gegner anpaßt. Das ist eine große Gefahr. Es gehört ein Unmaß von Charakterstärke, von Glauben an die Sache, von echter Manneskraft dazu, im jahrelangen Verkehr mit den "Großkopfeten" nicht die Balance zu verlieren. Da färbt vieles ab: die Umgangsformen, die Luft, die guten Zigarren ...

Unter den bekannten Texten des Jahres 1929 ragen "Ein besserer Herr" - die Besprechung von Arnolt Bronnens Roman "O.S." - sowie die "Rolle des Intellektuellen in der Partei" hervor. Zu den bekannteren Gedichten zählen "Ich habe mich erkältet" und "Ideal und Wirklichkeit". Auch "Herr Wendriner" und "Das Lottchen" sind mit Texten vertreten.

Wie in der Gesamtausgabe üblich, stehen den rund 500 Seiten Originaltext rund 400 Seiten solide recherchierte Erläuterungen und Register gegenüber. Darin erfährt man auch einige Details über Tucholskys Vortragsreise vom November 1929, die ihn vor allem durch westdeutsche Städte führte. Zitiert werden dabei einige Angriffe auf Tucholsky durch den Publizisten Karl Goldbach, die auch in den Tucholsky-Blättern vom Dezember 2001 aufgeführt wurden.

Erwähnt sei noch, dass sämtliche Texte aus dem Jahr 1929, die in dem Buch "Deutschland, Deutschland über alles" enthalten sind, sich im entsprechenden Band 12 der Gesamtausgabe wiederfinden. Eine Ausnahme bildet das Gedicht "Auf die Mensur", das unter dem Titel "Deutsche Richter von 1940" leicht verändert auch in dem Deutschland-Buch enthalten ist. In der Zusammenschau der beiden Bände lässt sich wohl auch das erkennen, was Michael Hepp über Tucholskys Jahr 1929 urteilte:

Das Jahr 1929 kann man als eine Art Scheitelpunkt im Leben Kurt Tucholskys betrachten. Zornig rüttelte er noch einmal an den Grundfesten der politischen Indolenz, schlug mit seinem Buch "Deutschland, Deutschland über alles" auf den Sturmhelmen der Reaktion einen lauten und lang nachhallenden Trommelwirbel und mußte gleichzeitig auf einer ausgedehnten Lesereise durch Deutschland erkennen, daß all sein Tun vergebens war.
Tucholskys damalige Überzeugung kommt sehr deutlich in dem Gedicht "Hej!" zum Ausdruck, einem ausgesprochenen Verzicht auf sämtliche weltanschaulichen Angebote seiner Zeit.

Mit Band 11 sind somit die ersten 14 Bände sowie die Bände 20 und 21 der Gesamtausgabe erschienen. Die noch fehlenden Bände 15 bis 19 enthalten die zu Lebzeiten ungedruckten Texte (Band 15) sowie die Briefe bis einschließlich des Jahres 1932.

Friedhelm Greis, 31.8.2005

Titel und Bestellung:
Tucholsky, Kurt:Gesamtausgabe. Texte und Briefe. Hrsg. von Antje Bonitz, Dirk Grathoff, Michael Hepp, Gerhard Kraiker. 22 Bände, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996ff. Band 11: Texte 1929. Hrsg. von Ute Maack und Viktor Otto. Reinbek 2005, 928 S., 49,90 Euro.
Hier zur Bestellseite.

Links
Die Tucholsky-Forschungsstelle in Oldenburg

Gerhard Kraiker zum Stand der Edition

Editionsplan der Gesamtausgabe

Umschlag des 11. Bandes
 
  Besök i Mariefred - Resande och turism under 400 år
Besuch in Mariefred - 400 Jahre Reisen und Tourismus

Eine Ausstellung im lokalhistorischen Ausstellungsteil des MULTEUM - Bibliothek und Museum in Strängnäs vom 23. April bis 30. Dezember 2005.

2005 - ein Jahr das niemanden im schwedischen Mariefred unberührt lässt. Das idyllische Städtchen feiert die Verleihung der Stadtrechte vor 400 Jahren. Im kommunalen Multeum - Bibliothek und Museum in Strängnäs wird dies mit einer Ausstellung gewürdigt, die als Thema Mariefreds Entwicklung zu einem attraktiven Reiseziel in den Mittelpunkt stellt.

Für die meisten Deutschen ist Mariefred mit einer anderen Zeitrechnung verbunden: Nicht dass hier vor 400 Jahren ein königlicher Brief mit den Stadtprivilegien geschrieben wurde, sondern dass hier vor 76 Jahre Kurt Tucholsky seine Notizen machte, hat Mariefred auf ihre geistige Landkarte gesetzt. Der Sommer 1929, den er hier mit Lisa Matthias verbrachte, inspirierte ihn zu dem bis heute in unzähligen Auflagen erschienenen Roman "Schloß Gripsholm". Heute wiederum werden unzählige Deutsche durch den Roman dazu angeregt, nach Mariefred zu reisen. Auf den Spuren von Tucholsky und seiner "Prinzessin" besichtigt man das Schloss und besucht den Friedhof, auf dem Kurt Tucholsky begraben liegt.

Ein Teil der Ausstellung beleuchtet in groben Umrissen die Verbindung von Tucholsky, seinem "Schloß Gripsholm" und der touristischen Anziehungskraft Mariefreds.

Bei der Recherche zum heutigen Tourismus zeichnete sich folgende Tendenz ab: Schwedische Besucher kommen nach Mariefred, um die idyllische Kleinstadt in naturschöner Umgebung bei gutem Essen zu genießen, außereuropäische Reisende, weil es "einer der schönsten Plätze" der Welt ist und deutsche Urlauber kommen auf den Spuren Kurt Tucholskys nach Mariefred. Deutlich wird dies u.a. in Eintragungen in Gästebüchern, die in der Ausstellung zitiert werden:

"Seit ich 'Schloß Gripsholm' von Kurt Tucholsky gelesen habe, war es mein Traum hierher zu kommen. Nun sind wir hier und es ist zauberhaft."
Uli, Jochen, 2003, Germany,

"Tucholsky hat sich einen schönen Platz ausgesucht!
'Prinz' och 'Prinzessan', 1996, Tyskland

"Wir haben uns einen Traum erfüllt u. das Schloss Gripsholm besucht."
Liane, 1993, Germany

 
  Im Zusammenhang mit Kurt Tucholsky und seinem Buch konnte im Vorfeld der Ausstellung eine neue Verbindung geknüpft werden. Das Museum initiierte ein Gemeinschaftsprojekt mit einem Deutschkurs der Europaschule in Strängnäs. Die Gymnasiasten haben Tucholsky als Thema bearbeitet, "Schloß Gripsholm" gelesen und einen Beitrag zur Ausstellung gestaltet. Dank dieser Zusammenarbeit haben Ausstellungsbesucher die Möglichkeit, sich mit Zitaten aus "Schloß Gripsholm" spielerisch zu beschäftigen und außerdem ein zweisprachiges Faltblatt über Tucholsky mit nach Hause zu nehmen.

Obwohl Tucholsky und sein "Schloß Gripsholm" nur ein kleiner Teil des weitgefassten Themenkreises der Ausstellung ist, hat sich gerade dieser Teil als besonders fruchtbar für Kontakte und Diskussionen erwiesen - sicher ein Anlass für den verehrten Schriftsteller, sich nicht im Grabe umzudrehen, sondern den neuen Lesern entgegenzusehen.

Katja Sinn, Strängnäs
Das Tucholsky-Spiel der Europa-Schule
Das Tucholsky-Spiel der Europa-Schule
 
  Offener Brief zum Deserteurdenkmal in Ulm

Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft setzt sich für die Aufstellung eines Mahnmals in Ulm ein, das an die Deserteure des Zweiten Weltkriegs erinnern soll. Zu diesem Zweck hat sich die Gesellschaft in einem offenen Brief an den Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner sowie an die Mitglieder des Ulmer Gemeinderates gewandt und diese dazu aufgefordert, "das Gedenken an die 'anderen Soldaten', die Befehle und den Dienst verweigerten, hochzuhalten und der "Skulptur des Anstoßes" einen dauerhaften Standort in Ihrer Stadt zu geben." Der Hauptausschuss des Gemeinderates debattiert am Donnerstag, den 17. März, darüber, ob das Mahnmal "Stein des Anstoßes" auf einem öffentlichen Platz in Ulm aufgestellt werden darf.

Die Tucholsky-Gesellschaft begründet ihr Engagement damit, dass es sich bei der Inschrift auf der von Hannah Stütz-Mentzel geschaffenen Skulptur um ein bekanntes Zitat des Namensgebers der Gesellschaft handele. Die Inschrift stammt aus dem Artikel "Die Tafeln" und lautet: "Hier lebte ein Mann, der sich geweigert hat, auf seine Mitmenschen zu schießen. Ehre seinem Andenken!" Kurt Tucholsky hat nach Auffassung der Gesellschaft somit schon 1925 daran Anstoß genommen, dass die Erinnerung an solche Menschen fehle, die sich aus Überzeugung geweigert hätten, auf ihre Mitmenschen zu schießen. "Dieses fehlende Gedenken ist nach wie vor offenkundig. Wir würden es daher sehr begrüßen, wenn die Stadt Ulm sich dazu entschließen könnte, diesem Mangel abzuhelfen", heißt es in dem offenen Brief.

Nachtrag (19.3.): Der Hauptausschuss des Ulmer Gemeinderates hat mit den Stimmen von CDU und FWG/FDP den Antrag der Grünen zur Aufstellung des Deserteurdenkmals abgelehnt. Von den Abgeordneten der SPD stimmte einer für den Antrag, zwei enthielten sich der Stimme.

Hintergrund

Der offene Brief im Wortlaut

"Stein des Anstoßes" unerwünscht
Die Südwestpresse über die Debatte

"Die Tafeln":
Der Artikel von Ignaz Wrobel

Das Deserteurdenkmal in Ulm
Das Denkmal "Stein des Anstoßes"
 
  Vorschlagsfrist für Tucholsky-Preis läuft

Am 6. November 2005 wird anlässlich der KTG-Jahrestagung in Berlin zum siebten Male der Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik verliehen. Die Frist, um mögliche Preisträger vorzuschlagen, hat am 1. Januar dieses Jahres begonnen und endet am 31. März.

Alle weiteren Angaben über Vorschlagskandidaten und -berechtige sowie die einzureichenden Unterlagen sind im Ausschreibungstext nachzulesen. Der Kurt-Tucholsky-Preis ist mit 3000 Euro dotiert.

Zu den bisherigen Preisträgern zählen der Journalist Wolfgang Büscher, der Autor und Hochschullehrer Prof. Dr. Harry Pross, der Liedermacher Konstantin Wecker, der Journalist Heribert Prantl, der Schweizer Schriftsteller Kurt Marti und die Schriftstellerin Daniela Dahn.

 
  Sudelblog.de: Das Weblog zu Kurt Tucholsky

Jeden Tag gibt 120 neue Weblogs in Deutschland, heißt es in einem Bericht des "Spiegel" über die neue Mode der Internet-Tagebücher. Seit Anfang des Jahres gibt es auch ein Weblog, das sich ausschließlich mit Kurt Tucholsky beschäftigt. Es dient dazu, aktuelle Medienbeiträge mit einem Tucholsky-Bezug zu sammeln und zu kommentieren. Damit wird die Presseschau ergänzt, die es seit dem vergangenen Jahr bereits auf den Seiten der KTG gibt. Allerdings wird "Sudelblog" nicht von der KTG betrieben.

Links:

Sudelblog.de

Der "Spiegel" über Weblogs

 
  Band 12 der Gesamtausgabe erschienen

Die Kurt-Tucholsky-Forschungsstelle der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg hat den zwölften Band der Tucholsky-Gesamtausgabe veröffentlicht. Dieser Band widmet sich ausschließlich dem von Tucholsky und John Heartfield im Jahre 1929 herausgegebenen Buch "Deutschland, Deutschland über alles", einer bitterbösen Abrechnung mit dem reaktionären Deutschland gegen Ende der zwanziger Jahre.

Der erste Teil des Bandes besteht aus einem Faksimile des Originals. Dem haben die Herausgeberinnen Antje Bonitz und Sarah Hans rund ebenso viele Seiten Erläuterungen und Register hinzugefügt, so dass der Band insgesamt 500 Seiten umfasst. Die Wirkungsgeschichte des umstrittenen Buches ist jedoch verhältnismäßig knapp abgehandelt worden. Die Herausgeber widmen ihr nur eine halbe Seite, an die sich eine dreieinhalb Seiten lange Liste mit den damaligen Rezensionen anschließt. Auf der KTG-Tagung von 1991, die diesem Tucholsky-Buch gewidmet war, hatte der im vergangenen Jahr verstorbene Michael Hepp noch angekündigt, dass die Diskussion über das Buch in die Gesamtausgabe eingehen werde. Wer Näheres über diese Debatte erfahren will, ist daher weiter auf die Tucholsky-Biographie von Hepp angewiesen. Merkwürdig ist auch, dass bei einer Erläuterung zu einer Fotographie wiederum auf den Reprint des Deutschland-Buches von 1978 hingewiesen wird, anstatt diese Angaben direkt zu übernehmen. Ansonsten ermöglichen es die Erläuterungen - wie in gewohnter Weise bei der Gesamtausgabe -, fast sämtliche historischen Hintergründe und Bezüge zum besseren Verständnis der Artikel und Fotos zu erfahren.

Für das Frühjahr 2005 ist die Veröffentlichung von Band 11 geplant. Dieser Band enthält die Werke Tucholskys aus dem Jahre 1929. Für die restlichen fünf Bände gibt es noch keine geplanten Erscheinungstermine. Die Bände 15 bis 19 enthalten die zu Lebzeiten ungedruckten Texte (Band 15) sowie die Briefe bis einschließlich des Jahres 1932.

Links
Die Tucholsky-Forschungsstelle in Oldenburg

Gerhard Kraiker zum Stand der Edition

Editionsplan der Gesamtausgabe

Umschlag des 12. Bandes
 
  Dokumentation der KTG-Tagung
"... ein wahnwitzig gewordenes Dorf"

Als "...ein wahnwitzig gewordenes Dorf" bezeichnete Kurt Tucholsky bereits 1913 in Siegfried Jacobsohns Schaubühne seine Geburtsstadt Berlin, die er "nicht liebte, der er aber sein Bestes verdanke". Als er drei Jahre alt war, verließ die Familie Berlin, um nach sechs Jahren 1899 aus Stettin zurückzukehren. Bis zum April 1915 verbrachte Tucholsky seine Schul- und Studentenjahre in der damaligen Reichshauptstadt. Der verlorene Krieg ließ ihn im Dezember 1918 zurückkehren. Aber schon nach wenig mehr als fünf Jahren verließ er Berlin wieder, diesmal ohne eigentliche Wiederkehr. Nur elf Jahre seines erwachsenen Lebens verbrachte Kurt Tucholsky in Berlin. Die Widersprüche in Leben und Wirken im Verhältnis zu Berlin werfen die interessante Frage auf, ob er sich selbst als Berliner verstand und gesehen werden wollte und ob Berlin - wie es in Ost und West gleichermaßen geschah - ihn zu Recht als einen Berliner in Anspruch nehmen durfte und darf. Die Tagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft im Jahr 2003 sollte untersuchen und aufzeigen, wie der im Wilhelminismus aufgewachsene und erzogene Berliner Großbürgersohn in den lediglich fünf Jahren seines Wirkens im republikanischen Berlin publizistisch, literarisch und politisch Erfolge erringen konnte, die die Grundlage der noch heute andauernden Aktualität seiner Schriften, Texte und Gedanken bilden.

Aus dem Inhalt:
Analysen:
Wolfgang Triebel: Das Wilhelminische Berlin und Tucholskys Widerwillen gegen den preußisch-deutschen Wilhemismus · Susanna Böhme-Kuby: Von Weimar nach Berlin: Tucholskys Nachwelt · Kurt Wernicke: Ein Jahrzehnt Berliner Gymnasial- und Gymnasiastenprobleme (1899-1909) · Jan Eik: Schauriges Berlin - Kriminalfälle zu Tucholskys Zeiten · Ruth Freydank: Tucholsky und das Theater · Uwe Wiemann: "... ein wahnwitzig gewordenes Dorf" - Die Stadt Berlin und ihr Dialekt · Stefanie Oswalt: "... unterscheide im Objekte die drei Sorten" - Zur Darstellung der Berlinerin in Tucholskys Werk

Forschungsberichte
Alexander Solloch: Und immer zwischen den Stühlen... - Kurt Tucholsky und die radikale Linke in der Weimarer Republik · Marta Vodicková: "An die geehrte Bewohnerschaft Prags!" - Kurt Tucholsky und das "Prager Tagblatt"

Titel und Bestellung:
Rottka, Eckart; Rottka, Natalie (Hg.): Tucholskys Berlin. Dokumentation der Tagung 2003 "... ein wahnwitzig gewordenes Dorf". Schriftenreihe der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft, Band 2. Röhrig-Universitätsverlag 2004. 170 S., 20 Euro.
Hier zur Bestellseite.


Umschlag des Tagungsbandes
  Schwedischer Tucholsky-Preis für Yvonne Vera

Nicht nur in Deutschland, auch in Schweden wird regelmäßig ein Kurt Tucholsky-Preis verliehen. In diesem Jahr fiel die dortige Wahl auf die simbabwische Schriftstellerin Yvonne Vera. Dies teilte die schwedische Sektion des Internationalen Schriftstellerverbandes Pen mit, die seit 1984 den Preis vergibt. Die mit umgerechnet 16.400 Euro dotierte Auszeichnung wird jährlich an Schriftsteller verliehen, die im eigenen Land verfolgt oder bedroht werden und daher im Exil leben müssen.

Yvonne Vera wurde 1964 in Simbabwe geboren und ist laut Pen die bedeutendste Schriftstellerin ihres Landes. Sie hat mehrere Romane und Novellen veröffentlicht und promovierte im kanadischen Toronto über afrikanische Literatur. Einige ihrer Werke sind auch auf Deutsch erschienen, darunter "Seelen im Exil", "Nehanda", "Schmetterlinge in Flammen" und "Eine Frau ohne Namen". Der Pen-Club hob hervor, dass Vera sich in ihren Romanen mit schwierigen Themen wie Inzest, Abtreibung und Kindstötung beschäftigt habe. Vera habe den Preis erhalten, weil sie nie ihre Heimat habe verlassen wollen, nun aber im kanadischen Exil leben müsse.

Etwas peinlich für den Pen-Club ist allerdings, die Idee des Tucholsky-Preises damit zu begründen, dass Tucholsky "Anfang der dreißiger Jahre auf dem Flucht vor dem Nazi-Regime in Hitler-Deutschland nach Schweden kam". Dies ist leider in zweifacher Hinsicht unzutreffend. Denn zum einen hat Tucholsky Deutschland schon 1924 in Richtung Paris verlassen, zum anderen ließ er sich bereits 1930 dauerhaft im schönen Schweden nieder. Zu einem Zeitpunkt, als die Nationalsozialisten noch längst nicht an der Macht waren. Bedauerlich auch, dass eine große deutsche Nachrichtenagentur diese Behauptung des Pen-Clubs ungeprüft übernommen hat. Nicht bedauerlich, sondern selbstverständlich ist dagegen, dass deutsche Medien einer großen deutschen Nachrichtenagentur fast alles glauben.

Links
Die Mitteilung des Pen-Clubs

Webseiten zu Yvonne Vera


  Neuer Band der Werkausgabe erschienen

Die Kurt-Tucholsky-Forschungsstelle der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg hat den achten Band der Tucholsky-Gesamtausgabe veröffentlicht. Der 1050 Seiten umfassende Band enthält die Werke Tucholsky aus dem Jahre 1926, wobei die Herausgeber Gisela Enzmann-Kraiker und Christa Wetzel die 550 Seiten Originaltext um 450 Seiten Erläuterungen ergänzt haben. Mit dem Erscheinen des achten Bandes liegen die ersten zehn der auf 22 Bände konzipierten Gesamtausgabe nun vollständig vor.

Nach Angaben der Forschungsstelle soll im Herbst dieses Jahres Band 12 erscheinen, der das Buch "Deutschland, Deutschland über alles" wiedergibt. Für das Frühjahr 2005 ist die Veröffentlichung von Band 11 geplant. Dieser Band enthält die Werke Tucholskys aus dem Jahre 1929. Für die restlichen fünf Bände gibt es noch keine geplanten Erscheinungstermine. Die Bände 15 bis 19 enthalten die zu Lebzeiten ungedruckten Texte (Band 15) sowie die Briefe bis einschließlich des Jahres 1932.

Links
Die Tucholsky-Forschungsstelle in Oldenburg

Gerhard Kraiker zum Stand der Edition

Editionsplan der Gesamtausgabe

Rezension des 8. Bandes in der FAZ


  Kurt Tucholsky Literaturmuseum eröffnet

Die Kurt Tucholsky-Gedenkstätte in Rheinsberg ist mehrere Wochen lang umgebaut worden und hat am Freitag, den 30. Januar 2004 wieder als "Kurt Tucholsky Literaturmuseum" eröffnet. Nach Angaben der Gedenkstätte soll Tucholsky mit Dokumenten, Texten und Objekten aus seinem Nachlass als Autor gewürdigt werden, der "europäisch dachte" und mit seinen kritischen Texten auch heute "eine enorme Aktualität" besitze.

Als Dauerleihgabe der Stiftung Archiv der Akademie der Künste ist auch der Schreibtisch Tucholskys aus dem schwedischen Exil in der Ausstellung zu sehen. Außerdem werden neben Erstausgaben von Tucholskys Büchern, Fotografien, Programmheften und persönlichen Gegenständen auch seine Totenmaske gezeigt.

Links
Informationen über das Literaturmuseum

Website des Museums

Die "Berliner Morgenpost" hat sich das Museum angeschaut


  Heinrich Heine und Kurt Tucholsky

In Leben und Werk von Heinrich Heine und Kurt Tucholsky gibt es viele Gemeinsamkeiten und Parallelen. Beide besaßen jüdische Wurzeln, gingen teils mehr (Tucholsky) teils weniger freiwillig (Heine) nach Paris ins Exil und beschrieben als Journalisten und Schriftsteller die deutschen Verhältnissen mit Witz und Hellsichtigkeit. Für Tucholsky war Heine ein "Jahrhundertkerl", wogegen er sich selbst im Vergleich mit Heine nur als dichterisches "Talent" verstand.

An einem gemeinsamen Vortragsabend am 18. Juni 2004 in Berlin wollen die Heinrich Heine-Gesellschaft und die Kurt Tucholsky-Gesellschaft auf die Verbindungen zwischen beiden Schriftstellern hinweisen. Veranstaltungsort ist der Berlin-Saal des Ribbeck-Hauses in der Zentral und Landesbibliothek Berlin, Breite Straße 35/36 in Berlin-Mitte. Der Eintritt kostet zwischen 5 und 15 Euro (gestaffelt nach Programmteilen). Ermäßigte Preise gelten für Schüler, Studenten und Mitglieder der Gesellschaften.

Programm:
17.00 Uhr Begrüßung
Dr. Sabine Bierwirth, Heinrich Heine-Gesellschaft (Sektion Berlin-Brandenburg),
Eckart Rottka, Kurt Tucholsky-Gesellschaft
17.15 Uhr Kurt Tucholsky und der "Jahrhundertkerl" Heinrich Heine
Vortrag von Prof. Dr. Dieter Schiller, Berlin
18.00 Uhr Zwischen Welten - zwischen Zeiten: Heinrich Heines Lachen
Vortrag von Prof. Dr. Ralf Schnell, Universität Siegen
20.00 Uhr Poesie und Musik: "Meister und Geselle"
Oliver Steller mit Texten Heinrich Heines und Kurt Tucholskys


  Dokumentation der KTG-Tagung
"Wieder gilt: Der Feind steht rechts!"

Wie kaum eine andere Zeitschrift symbolisiert die "Weltbühne" den Kampf der Demokraten und bürgerlichen Linken um den Aufbau einer Republik in Deutschland und deren Erhaltung. Die Autoren des Sammelbandes untersuchen, wie dieses Bemühen in der Justizkritik und Militärkritik sowie in den literarischen Debatten in der "Weltbühne" zum Ausdruck kommt. Einzelne Aufsätze widmen sich dem Engagement der "Weltbühne"-Autoren Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Kurt Hiller und Erich Kästner. Beiträge zur "Neuen Weltbühne" und zur "Weltbühne" in der DDR behandeln die Frage der politischen Kontinuität der Zeitschrift. In einem Brückenschlag zur Gegenwart werden abschließend die Möglichkeiten einer demokratischen Publizistik im Kampf gegen radikale rechte gesellschaftliche Strömungen und Rechtsradikalismus diskutiert.

Aus dem Inhalt:
Analysen:
Harry Pross: Die "Weltbühne" im Kampf gegen Hitler und gegen Rechts. · Manfred Messerschmidt: Militärkritik in der "Weltbühne" · Bärbel Schrader: Literatur und Kunstdebatten in der "Weltbühne". Oder: Der schwierige Weg des Siegfried Jacobsohn im Umgang mit Expressionismus und Revolution. · Victor Otto: Kulturkritik zwischen Chaplin und Jazz: Die "Weltbühne", die USA und der Amerikanismus. · Gerhard Kraiker: Kurt Tucholsky als politischer Publizist der "Weltbühne" · Georg Fülberth: Aktivismus, Sozialismus, Pazifismus. Herrschaft der "Geistigen". Kurt Hillers politische Interventionen in der "Weltbühne". · Stefan Neuhaus: Erich Kästner zwischen Literatur und Journalismus. Konzeptionelle Gemeinsamkeiten der "Weltbühnen"-Beiträge bis 1933. · Werner Boldt: "Ein runder Tisch wartet". Zu Ossietzkys Aufsatz von 1932 · Dieter Schiller: Die "Weltbühne" im Prager Exil · Fritz Klein: Die "Weltbühne" in der DDR. Anknüpfung oder Neuanfang? · Susanna Böhme-Kuby: Die Anwälte der deutschen Einheit. Die Politik der "Weltbühne" 1946-1949

Diskussion
Kerstin Decker, Mathias Greffrath, Jörn Schütrumpf, Eckart Spoo, Claudia Henne: "Der Feind steht rechts". Perspektiven einer demokratischen Publizistik.

Forschungsberichte
Uwe Wiemann: Paradigmenwechsel oder literarische Mimikri: Kurt Tucholsky und die Politisierung des Kabaretts · Maren Düsberg: "Soll ich aufstehn und das Schreiben lassen?" Kurt Tucholsky und Franz Kafka im Vergleich · Erika Jäger: Ernst Tollers "späte Dramen". · Peter Kabus: Hätte Tucholsky für die DDR-"Weltbühne" geschrieben? Zur Geschichte einer Zeitschrift zwischen humanistischer Tradition und Parteijournalismus.

Titel und Bestellung:
Oswalt, Stefanie (Hg.): Die Weltbühne. Zur Tradition und Kontinuität demokratischer Publizistik. Dokumentation der Tagung "Wieder gilt: Der Feind steht rechts!". Schriftenreihe der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft, Band 1. Röhrig-Universitätsverlag 2003. 225 S., 24 Euro.
Hier zur Bestellseite.

Umschlag des Tagungsbandes
 
 
Gesammelte Wertungen
 

Unter den vielen Promi-Biographien im Herbst 2003 ist sie aus Sicht von Tucholsky-Lesern die interessanteste: "Unruhestifter", die Erinnerungen von Fritz J. Raddatz. Der Vorsitzende der Kurt Tucholsky-Stiftung und Mitherausgeber seiner Werke dürfte neben Mary Gerold-Tucholsky die Rezeption des Schriftstellers nach 1945 am stärksten beeinflusst haben. Dass sich das deutsche Feuilleton (siehe Links) begierig auf die Memoiren des 72-Jährigen stürzte, hatte jedoch andere Gründe. Als Vize-Chef des Rowohlt-Verlages und Feuilleton-Chef der "Zeit" war Raddatz jahrzehntelang einer der schillerndsten Figuren des deutschen Literaturbetriebs. Er kannte alle. "Viele Berühmte werden das Buch von hinten, vom Namensregister her lesen", spekulierte daher die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Derjenige, zu dem es die meisten Registereinträge gibt, wird dies jedoch nicht mehr können: Kurt Tucholsky. Schon das Namensregister zeigt daher, wie eng Raddatz verlegerisches Wirken über mehrere Jahrzehnte mit diesem Autor verknüpft war.

Dabei verlief die erste Begegnung mit dessen Werk eher ernüchternd. Ende der 40er Jahre stieß der junge Germanistikstudent Raddatz in einem Berliner Antiquariat auf ein Exemplar von Theobald Tigers "Fromme Gesänge".[1] Da er keine Ahnung hatte, dass sich dahinter der Autor Tucholsky verbarg, musste er sich von einem Kommilitonen eine herbe Kritik anhören: Wer so etwas nicht wisse, solle doch lieber keine Germanistik studieren. Doch die Begeisterung für Tucholsky war bei Raddatz geweckt. Auch beruflich.

Lockenkrull trifft Königin

Der Plan einer gesamtdeutschen Tucholsky-Ausgabe war es denn auch, der Raddatz im Frühjahr 1953 eine offizielle Reise in den Westen verschaffte.[2] Der 22-Jährige war damals stellvertretender Cheflektor des DDR-Verlages "Volk und Welt" und besuchte in Hamburg zunächst den Rowohlt-Verlag, der vor und nach dem Zweiten Weltkrieg Sammelbände von Tucholsky und dessen Roman "Schloß Gripsholm" gedruckt hatte. Nach einem kurzen Treffen mit Heinrich-Maria Ledig-Rowohlt fuhr Raddatz weiter ins oberbayerische Rottach-Egern, wo Tucholskys geschiedene Frau Mary Gerold-Tucholsky nach dem Krieg ein Haus gekauft hatte. Für Raddatz entwickelte sich aus der Begegnung eine "immer stabiler werdende Beziehung", eine der "großen, wichtigen und verlässlichen meines Lebens". Raddatz widmet Mary, die er seine Königin - "ma reine" - nennt, ein eigenes Kapitel in dem Buch. Die Tucholsky-Erbin gab dem jugendlichen Gast zunächst den Spitznamen "Locken-Krull". Der Grund: Sein "hochstaplerischer Editionsplan" und die "wilden schwarzen Locken". Später habe sie ihn dann "Mein Fürst" genannt. Auf ihrem Totenbett sprach sie von Raddatz gar als "Tucho" und fragte ihre Betreuerin, warum dieser sie qua Testament als Urheberrechtserbin eingesetzt habe.

Das Verhältnis der beiden wurde jedoch auch von einem gewissen Misstrauen und "selbst anerzogener Kühle" von Seiten der Marys geprägt, wie Raddatz schreibt. Besonders habe ihn ihre Entscheidung getroffen, ihm nicht Tucholskys "Sudelbuch" zu schenken, das er sich als "erstes, letztes und einziges Intimes" gewünscht hatte.[3] "Wer, wenn nicht ich, wäre würdig, dieses Stück Tucho-Mary zu besitzen, das muss ich mich doch fragen",[4] beklagte sich Raddatz später in einem Brief an seine "Königin". Für die "FAZ" ist der Brief charakteristisch für "diesen hypersensiblen Narziß in seiner grundverlorenen Einsamkeit". Raddatz schreibt es auch seiner Beharrlichkeit und seinem Vertrauensverhältnis zu Mary zu, dass diese schließlich einwilligte, die Briefe Tucholskys an sie zu veröffentlichen.[5] Auch die Gründung der Kurt Tucholsky-Stiftung mit der Übertragung der Urheberrechte gehe auf eine Anregung von ihm zurück.[6]

Gemeinsam gegen das Lottchen

Einig waren die beiden von Anfang an auch in der feindseligen Haltung gegenüber Lisa Matthias, deren Autobiographie "Ich war Tucholskys Lottchen" im Jahre 1962 für Aufsehen und Empörung sorgte. In Raddatz' Memoiren kommt zwei Mal die Rede auf Tucholskys langjährige Geliebte. "Ich bin überzeugt, dass es eine sehr üble Sache werden wird, nicht nur, dass sie sich an Tucho rächen wird, weil er sie quasi herausgeschmissen hat, sondern sie wird auch Jauchekübel über mich ergießen und 'Tatsachen' berichten, die von A bis Z erfunden sind",[7] zitiert Raddatz aus einem Brief von Mary Gerold-Tucholsky aus dem Jahr 1961. Mit der "üblen Sache" ist offensichtlich die "Lottchen"-Biographie gemeint, was Raddatz jedoch nicht erläutert und daher für die meisten seiner Leser nicht verständlich sein wird. Allerdings hätte er dann auch hinzufügen müssen, dass Matthias mitnichten Jauchekübel über die damalige Ehefrau Tucholskys auskippte und fast alle ihre Aussagen belegen konnte. Raddatz bleibt mit seinem Vorgehen gegenüber Matthias damit seiner Linie treu. Noch immer steht in Raddatz' Vorwort zu den Gesammelten Werken der Satz, dass Tucholsky "Schloß Gripsholm" in "nicht unbedingt liebenswürdiger Weise"[8] einer Autonummer gewidmet habe. Nun müsste Raddatz spätestens seit der "üblen Sache" wissen, dass Lisa Matthias die Besitzerin des besagten Wagens mit der Nummer IA 47407 war. Außerdem habe sie diese Art der Widmung selbst vorgeschlagen, schreibt sie in ihren Memoiren[9]. Raddatz, für den Tucholskys "Gratwanderung zum Gradmesser eigener Arbeit wurde"[10], führe damit Millionen Leser bewusst in die Irre, wie Gerhard Zwerenz in seiner Tucholsky-Biographie vermutlich zu Recht behauptet.[11]

Kampf um Editionen

Mit einem anderen Vorwurf, wonach Raddatz und Gerold-Tucholsky eine Anzahl von Tucholskys "politisch oder erotisch schärfsten Produktionen" nicht abgedruckt hätten, liegt Zwerenz jedoch falsch. Zwar fehlen in den Gesammelten Werken rund 1100 von 2900 Texten Tucholskys, doch von einer Entschärfung des Werkes kann nach kritischer Untersuchung der ausgewählten Stücke nicht die Rede sein.[12] Als wolle er diese These unterstützen, geht Raddatz ausführlich auf die Auseinandersetzungen um die Tucholsky-Ausgabe ein, die er in den fünfziger Jahren mit der DDR-Führung führte. "Der Kampf um die Tucholsky-Ausgabe - so rührend wie töricht - markiert meine DDR-Endzeit"[13] , heißt es in der Biographie. Auf mehreren Seiten schildert Raddatz den Streit mit der Zensurbehörde um den fünften Band der Ausgabe. Der Kampf endete schließlich mit der Flucht des damals 27-Jährigen aus der DDR. Zu einer ihm inzwischen wohlvertrauten Adresse: Dem "Knusperhäuschen" Mary Gerold-Tucholskys in Rottach-Egern.

Mit dem Abschluss der Gesamtausgabe wird die editorische Beziehung zwischen Raddatz und Tucholsky wohl ihr Ende finden. Von der Beziehung profitierten sicherlich das Werk und dessen Herausgeber. Allerdings versucht Raddatz auch den Eindruck zu erwecken, sein Wirken bei Rowohlt und der "Zeit" sei letztlich an seiner dort ungewollten Radikalität gescheitert. Eine Radikalität, die unausgesprochen wohl eher in ein Blatt wie die "Weltbühne" unter Siegfried Jacobsohn gepasst hätte. Richtig in Schwierigkeiten kam Raddatz durch Tucholsky nur einmal, als er einen Brief an einen Juden mit "Heil Hitler" unterschrieb. Weil Tucholsky das ebenfalls so gemacht habe, sah Raddatz darin keinen Affront.[14] Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass er seinen Abgang als Feuilletonchef bei der "Zeit" mit einem Fauxpas zu Tucholsky beschleunigt hätte. Das war dem Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe vorbehalten.

Friedhelm Greis

Links zu Rezensionen der Raddatz-Biographie:

"Berliner Zeitung": "Da war ich ..."
Arno Widmann empfiehlt die Biographie als "egoman und verrückt, aber gerade darum großartig"

"FAZ": Völlig aus dem Reim gegangen
Nach Ansicht von Heinz Ludwig Arnold hat es Raddatz leider nicht vermocht, ein Erinnerungsbuch der Republik zu schreiben.

"FAS": Grüße aus dem Unruhestand
Nils Minkmar besucht Raddatz im Hamburger Büro der Tucholsky-Stiftung.

"Der Spiegel": Torero und Weltenschlürfer
Die besten Sprüche und Verunglimpfungen aus "Unruhestifter" hat Mathias Schreiber zusammengestellt.

"Die Zeit": Kämpfe und Krämpfe
Der frühere "Zeit"-Chefredakteur Theo Sommer versucht einige Äußerungen von Raddatz richtigzustellen.

Fußnoten

[1] Raddatz, Fritz J.: Unruhestifter. Erinnerungen. München 2003, S. 83. Im Folgenden zitiert unter: Raddatz.

[2] Raddatz, S. 186

[3] Raddatz, S. 160

[4] Raddatz, S. 160f

[5] Raddatz, S. 144f

[6] Raddatz, S. 149f

[7] Raddatz, S. 151f

[8] Raddatz, Fritz J.: Vorwort. In: Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke. Herausgegeben von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Bd. 1. Reinbek 1985, S. 31

[9] Matthias, Lisa: Ich war Tucholskys Lottchen. Hamburg 1962, S. 249

[10] Raddatz, S. 145

[11] Zwerenz, Gerhard: Kurt Tucholsky. Biographie eines guten Deutschen. München 1979, S. 293

[12] Ackermann, Irmgard; Heß, Dieter; Lindner, Katrin: Zur Forschungssituation. In: Ackermann, Irmgard (Hg.).: Kurt Tucholsky: 7 Beiträge zu Werk und Wirkung. München 1981, S. 8ff

[13] Raddatz, S. 130

[14] Raddatz, S. 209


Fritz J. Raddatz Unruhestifter - Erinnerungen. Propyläen-Verlag, München 2003. 495 S., 24 Euro.

 
ZDF-Reihe: Unsere Besten /
Wer sind die größten Deutschen?

Was im britischen Fernsehen ein großer Erfolg war, will das ZDF nun auch auf deutsche Verhältnisse übertragen. Die Fernsehzuschauer sollen mitentscheiden, wer in mehr als tausend Jahren deutscher Geschichte als der "größte Deutsche" anzusehen ist. Kurt Tucholsky hat es im Gegensatz zu Carl von Ossietzky immerhin geschafft, unter die 300 Vorschläge zu kommen, die das ZDF seinen Zuschauern präsentiert. Zusammen mit 40 weiteren Schriftstellern wurde er in die Rubrik "Literatur" gesteckt. Ob Tucholsky auch unter die ersten 100 Kandidaten gekommen ist, die am 7. November im ZDF präsentiert werden, entschied sich bis zum 15. September. Bis dahin konnten für die 300 Auserwählten Stimmen abgegeben werden.

Als satirische Entscheidungshilfe für die Wahl empfiehlt sich die Lektüre von Tucholskys Text "Hitler und Goethe" aus dem Jahre 1932. Da Hitler im Gegensatz zu dem Österreicher Wolfgang Amadeus Mozart vom ZDF nicht vorgeschlagen wurde (Massenmörder und Kriminelle sind ausgeschlossen), fiele die Wahl demnach auf Goethe. Oder stimmen etwa die meisten für Tucholsky?

Ergänzung: Dazu kam es dann doch nicht. Tucholsky landete etwas abgeschlagen auf Platz 155, allerdings befand er sich in guter Gesellschaft. Einen Platz vor ihm lag sein Lieblingsphilosoph Arthur Schopenhauer. Gewonnen hat übrigens der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer. Die nicht gerade als jung geltenden ZDF-Zuschauer haben damit offensichtlich für denjenigen gestimmt, den sie schon immer gewählt haben.

Links zu der Serie:

Website von "Unsere Besten"

ZDF-Infos zu Tucholsky

Online-Abstimmung

Die "taz" lässt Guido Knopp ausrasten

Die "Berliner Zeitung" zu der Serie


 
70 Jahre Bücherverbrennung

Am 10. Mai 2003 jährte sich zum 70. Mal die von deutschen Studenten organisierte Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz und in anderen deutschen Städten. Kurt Tucholsky war einer der Autoren, dessen Werke öffentlich verbrannt wurden. Er erfuhr davon in Zürich, wo er sich vom Oktober 1932 bis September 1933 aufhielt. In einem Brief vom 17. Mai 1933 an Walter Hasenclever schrieb er:

"Unsere Bücher sind also verbrannt. Im Buchhändlerbörsenblatt ist eine große Proskriptionsliste für in vierzehn Tagen angekündigt. Dieser Tage stand an der Spitze des Blattes im Fettdruck: "Folgende Schriftsteller sind dem deutschen Interesse abträglich. Der Vorstand des Börsenvereins erwartet, daß kein deutscher Buchhändler ihre Werke verkauft. Nämlich: Feuchtwanger - Glaeser - Holitscher - Kerr - Kisch - Ludwig - Heinrich Mann - Ottwalt - Plivier - Remarque - Ihr getreuer Edgar (Kurt Tucholsky) - und Arnold Zweig." In Frankfurt haben sie unsere Bücher auf einem Ochsenkarren zum Richtplatz geschleift. Wie ein Trachtenverein von Oberlehrern. Nun aber zu Ernsthafterem."

Ernsthafter als sein eigenes Schicksal betrachtete Tucholsky den Kampf gegen die Nationalsozialisten. In dem Brief an Hasenclever forderte er den Boykott deutscher Waren.

"Wenn die umliegenden Völker mehr Würde haben als die meisten Emigranten, die es nicht lassen können, deutsche Zeitungen und deutsche Produkte weiter zu kaufen, statt resolut auch das kleinste deutsche Stück Ware abzulehnen, wenn also wirklich boykottiert wird, kann sich Hitler in dieser Form wirtschaftlich nicht halten."

Dazu kam es jedoch nicht. Statt dessen hatte Tucholsky aufgrund des Verbots seiner Schriften keine finanziellen Einkünfte mehr und war auf die Unterstützung von Freunden angewiesen. Schon im Juli 1933 löste sein Verleger Ernst Rowohlt die Verträge mit ihm auf.


Aus Anlass des Jahrestages fanden in diesem Jahr fanden zahlreiche Veranstaltungen zum Thema Bücherverbrennung statt. So auch eine Tagung des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung (ZFA). Wichtigster Tenor dabei: Die Bücherverbrennung im Mai 1933 war vor allem eine Aktion der "Deutschen Studentenschaft", einem nicht nationalsozialistischen Studentendachverband. Bei den üblichen Gedenkveranstaltungen werde dagegen häufig den "Nazis" die Schuld an diesem Akt der Barbarei gegeben, um von der Verantwortung der Professoren und Studenten abzulenken.
In den Feuilletons wurde ebenfalls beklagt, dass nicht ausreichend auf diesen Zusammenhang hingewiesen werde. Schließlich sei, um mit Christian von Krockow zu reden, nicht der Ungeist am Werk gewesen, sondern der Geist, der sich selbst zerstörte.

Ebenfalls zum 70. Jahrestag erschien ein Werksverzeichnis der rund 200 Autoren, die die Nationalsozialisten verboten hatten. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass nur noch die Werke von 104 verfemten Schriftstellern lieferbar seien.

Links zu Artikeln zum Jahrestag:

"Netzeitung": Deutsche Studenten verbrannten die Bücher

"Die Welt": Tag der Schande

"Berliner Zeitung": Das Empfinden der Zweideutigkeit

Liste der verfemten Schriftsteller (PDF-Datei)