"Stein des Anstoßes" unerwünscht

VON HANS-ULI MAYER

Nach 16 Jahren in der Verbannung gerät das von Hannah Stütz-Mentzel geschaffene Deserteur-Denkmal wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes wird die Debatte um einen Standort in Ulm neu belebt. Doch der OB winkt ab: Kein Bedarf.

In Ulm gibt es etwa 60 Kriegerdenkmäler, doch für eines, das an die Deserteure des Zweiten Weltkriegs erinnert, gibt es in der ehemaligen Garnisonsstadt keinen Platz. Das war 1989 so, als die Ulmer Künstlerin Hannah Stütz-Mentzel und eine Gruppe Spätverweigerer das Kunstwerk schufen, und ist heute nicht anders. Im nächsten Hauptausschuss will der Oberbürgermeister zu der Diskussion Stellung nehmen, letztlich aber lässt er keinen Zweifel daran, dass er die Debatte über einen möglichen Standort für überflüssig hält.

Überflüssig deshalb, weil sich Ivo Gönner an einen Beschluss gebunden fühlt, den der Gemeinderat früh nach dem Kriegsende gefasst hatte. Damals war über alle Fraktionsgrenzen hinweg die Errichtung eines Gräberfeldes und einer Gedächtnisanlage auf dem Hauptfriedhof beschlossen worden. Überdies wurde vereinbart, darüber hinaus kein weiteres an den Krieg und seine Folgen erinnerndes Denkmal aufzustellen. Gönner: "Ich appelliere eindringlich, diese Tradition aufzunehmen."

Für die Grünen im Ulmer Gemeinderat ist diese Argumentation nicht stichhaltig. "Unterschiedliche Opfergruppen brauchen unterschiedliche Orte des Gedenkens", heißt es in einem Schreiben an den OB, "Soldaten, Zivilbevölkerung und jüdische Bürger in einen Topf zu werfen, werde keiner Gruppe gerecht". So selbstverständlich es sei, an die Opfer der Reichspogromnacht auf dem Weinhof zu gedenken, sich am Volkstrauertag im KZ Oberer Kuhberg zu treffen und den Geschwistern Scholl ein eigenes Denkmal zu widmen, so sinnvoll sei es, sich mit "den Deserteuren und ihren unterschiedlichen Motiven an einer künstlerisch gestalteten Skulptur" auseinanderzusetzen.

Außer den Grünen hat sich bislang noch keine Partei öffentlich festgelegt. CDU und Freie Wähler haben das Ansinnen immer strikt abgelehnt, während sich die SPD stets schwer tat mit dem Thema. "Ich persönlich habe viel Sympathie für die Haltung des OB", sagt Fraktionsvorsitzende Dorothee Kühne, räumt aber ein, dass es in ihrer Fraktion auch andere Meinungen gibt. So wie auch Gönner selbst schon mal anderer Meinung war. Vor 16 Jahren, als er noch nicht OB, sondern Fraktionschef der SPD war, plädierte er für einen Platz am Skulpturenpfad entlang der Donau.

Öffentlich zu sehen war das Gebilde bislang nur wenig Tage. Da vom Leiter des Münchner Lenbachhauses zum Kunstwerk erhoben Denkmal war 1989 vor dem Roxy aufgestellt worden. Ohne Genehmigung freilich, was den damaligen Finanzminister Theo Waigel auf den Plan gerufen hatte. Die Bastion war noch in Bundesbesitz und der CSUMann strikt gegen das Kunstwerk. Der Ulmer Kulturausschuss beriet und verfügte den Abbau. Seitdem steht das Denkmal in Ludwigsfeld in einem Privatgarten.

Für die Künstlerin Hannah Stütz-Mentzel ist das freilich eine unbefriedigende Situation. Sie hält aber auch von dem Vorschlag nicht viel, das Kunstwerk der Interesse zeigenden Stadt Halbe in Brandenburg zu überlassen. "Das wäre so, als würde man etwas Ungeliebtes aus der Stadt jagen", moniert sie. Vielmehr sei es ehrenhaft, das Kunstwerk in Ulm aufzustellen, wo es schließlich auch entstanden sei.

Zeitgemäßes Kunstwerk

Im Übrigen sei das Kunstwerk eine Reihe von verschiedenen großen Stelen, die von einem kleinen "Stein des Anstoßes" ausgehend im Domino-Effekt umgeworfen werden, völlig zeitgemäß. "Es geht darum Verantwortung im menschlichen Dasein zu übernehmen, nicht hörig zu sein, was die scheinbare Ordnung betrifft, und vielmehr stets genau zu überlegen, was gut und richtig und menschlich ist."

Gerade Ulm als ehemaliger Soldaten- und Garnisonsstadt stünde ein solches Denkmal gut zu Gesicht nicht zuletzt, seitdem Deserteure offiziell rehabilitiert sind und als 0pfer gelten, so sie erwischt und bestraft worden sind. Wenn ein Mensch merke, so Stütz-Menztel, dass er sich hinreißen hat lassen, einen Eid auf einen Menschen zu leisten, der ein Mörder ist, sei es seine Pflicht, sich abzuwenden: "Mein Wunsch ist, ruhig und vorurteilslos über das Thema zu diskutieren.


Erschienen in Südwestpresse Ulm, 4. März 2005


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