Auf der Suche nach Tucholskys Aktualität - Eindrücke einer Außenstehenden während einer Tagung

Von Renate Bökenkamp

Sie begleitete ihren Mann in der DDR auf der Suche nach dem politischen Ernest Hemingway, liebt Jean Paul und schätzt Tucholskys Satire - Ursula Hartwig mag Literatur. Die Leipzigerin aber hat auch Lust auf Unbekanntes, auf neue Erfahrungen im kulturellen Bereich. So entschloss sie sich, in Berlin die jüngste Tagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft in der Zentral- und Landesbibliothek zu besuchen.

»Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft! - Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Kurt Hiller, Erich Mühsam, Friedrich Wolf im Kampf gegen den Faschismus - 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik noch immer aktuell?«, der Titel versprach einiges. Doch zunächst fand sich die pensionierte Allgemein-, Sozial- und Arbeitsmedizinerin in der Vergangenheit wieder. Ian King und Professor Kurt Pätzold beleuchteten Tucholskys Scheitern als Mahner und die damaligen Verhältnisse in der Weimarer Republik. Wo war hier der Bezug zu heute? Der wurde dann anderntags deutlicher. Vor allem Friedhelm Greis schlug den Bogen von Carl von Ossietzky und dessen Einsatz als Herausgeber der Weltbühne gegen den Faschismus zu den heutigen rechtsgerichteten Erscheinungen und deren Folgen. Als am Abend die KTG-Mitglieder Jane Zahn und Frank-Burkhard Habel ihre Tucholsky-Programme vorstellten, die sie vor allem in den Schulen präsentieren werden, war die Tagung sehr aktuell. Wer nach deren Liedern und Beiträgen nicht die Aktualität der Tucholsky'schen Texte spürt, könne nur taub sein, stellte Ursula Hartwig fest. Erich Mühsam, Kurt Hiller, Friedrich Wolf, von Referenten aus den jeweiligen literarischen Gesellschaften vorgestellt, fanden Ursula Hartwigs Zustimmung. Die drei Schriftsteller waren in ihrer deutlichen antifaschistischen Haltung auch in der DDR genehm.

Die sich anschließende Podiumsdiskussion mit Schülern der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule Krefeld und ihrem Lehrer und KTG-Mitglied Andreas Weinhold, die parallel zur Tagung einen Workshop abgehalten hatten, bewegte sich wiederum in der Gegenwart. Den jungen Menschen an einer »Brennpunkt-Schule« macht die »Ausländerfeindlichkeit« zu schaffen und die Frage der besseren Integration deutscher Staatsbürger mit sogenanntem Migrationshintergrund. »Mehr solche Begegnungen mit der Jugend«, wünschte sich danach nicht nur die Leipzigerin.

Aktuell waren auch die Beiträge des Vertreters des Verfassungsschutzes und von Professor Wolfgang Dreßen. Während der Verfassungsschützer sich und seine Behörde eher freundlich-brav schilderte und geduldig auch Fragen nach »Undercover-Einsätzen« und dergleichen beantwortete, wurde Dreßen in vielem konkreter. Er stellte heraus, wo hier und heute jeder ansetzen muss, wenn er das Ausbreiten neonazistischer Strömungen verhindern will. Damit endete die Tagung. Die hat Ursula Hartwig beeindruckt. »Es gab gute Diskussionen, Gegenwart und Zukunft zum Thema wurden beleuchtet. Manches sehe ich anders, was ich gern vertieft hätte. Persönlich war ich erstaunt, zwischen westlichen Linken zu sitzen, die mir 'mein' Land erklärten.« Das erinnere sie an Hans Magnus Enzensberger, der 1989 in der FAZ von einer »linken Gemütlichkeit« schrieb. Es sei eben leicht gewesen, im Westen zu leben und links zu sein. »Tucholsky und die Gegenwart - die Diskussion darüber ist noch nicht zu Ende«. Zu Hause füllte sie den Mitgliedsantrag aus.

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