Rundbrief der Kurt Tucholsky-Gesellschaft
- September 2005-

 

1. Vorwort
2. Die Internationale Hanns Eisler Gesellschaft
3. Aus der Geschichte der Tucholsky-Stiftung
4. Schwedische Impressionen
5. Aus der Gesellschaft
6. Rezension: Manfred Messerschmidt über die Wehrmachtjustiz

 

 
  Vorwort

Sehr geehrte, liebe Mitglieder der KTG, liebe Freunde,

wie in den Vorjahren finden Sie in diesem Rundbrief eingeheftet das Programm für die kommende Jahrestagung unserer Gesellschaft vom 3. bis 6. November 2005 in Berlin. Drei Änderungen zum geplanten, im letzten Rundbrief vom April veröffentlichten, vorläufigen Programm sind zu vermelden:
Harald Martenstein wird das Eröffnungsreferat nicht halten. Trotz seiner festen Zusage änderte er seine Meinung. Zumindest zeitlich vorausgegangen war dieser bedauerlichen Absage ein rencontre mit einem unserer Vorstandsmitglieder, das ihm immerhin eine Glosse in der »ZEIT« einbrachte und unsere Gesellschaft auch dort erwähnen ließ. Mehr als erfreulich ist allerdings die dadurch geschaffene Alternative: Peter Ensikat, der mehr als drei Jahrzehnte die Kabarettszene der DDR maßgeblich geprägt hat und seit 1990 weit über die Grenzen Berlins und der neuen Länder als Buchautor bekannt geworden ist, hat »mit großer Freude« den Einführungsvortrag am Donnerstag Abend übernommen.

Mit ebensolcher Freude ist zu erwähnen, dass Prof. Dr. Fritz J. Raddatz am Sonnabend, dem 5. November 2005 zu uns sprechen und uns »zum Teil auch Anekdotisches« in einem »Rückblick auf vier Jahrzehnte Tucholsky-Stiftung« vortragen will.

Neu hinzugekommen ist als Abendprogramm der Vortrag von Tucholsky-Kompositionen des holländischen Komponisten und Musikwissenschaftlers Kees Arntzen mit Henriette Serline Schenk (Gesang) und Paul Preenen (Klavier). Wir sind guter Hoffnung, dass deren Finanzierung durch die niederländische Botschaft in Berlin ermöglicht wird. Die Verhandlungen darüber befinden sich auf einem guten Weg.

Eine Überraschung für uns alle – auch den Vorstand – wird der/die diesjährige Tucholsky-Preisträger/in sein. Zwar hat die Jury wohl im Juni 2005 getagt, über Verlauf und Ergebnis der Beratung ist der Vorstand bislang bedauerlicher weise nicht informiert worden. Aber das kann ja bis zum 6. November 2005 noch geschehen.

Ungeklärt bleibt die Zukunft des Kurt Tucholsky-Preises für literarische Publizistik. Die im letzten Rundbrief angebotene Möglichkeit zur Meinungsäußerung in dieser Frage haben von unseren etwa 260 Mitgliedern sage und schreibe vier Mitglieder wahrgenommen; mit jeweils unterschiedlichen Vorschlägen. Da es schwer werden wird, auf der Mitgliederversammlung abschließend darüber zu entscheiden, wird es wohl zu der bereits angekündigten schriftlichen Entscheidung der gesamten Mitgliedschaft kommen müssen.

Hoffentlich machen sich viele von Ihnen im November 2005 auf den Weg nach Berlin, um an der Jahrestagung einschließlich unserer Mitgliederversammlung teilzunehmen, wozu ich Sie mit der folgenden Tagesordnung einlade:

  1. Rechenschaftsbericht des Vorstandes
  2. Kassenbericht der Schatzmeisterin
  3. Bericht der Kassenprüfer
  4. Entlastung des bisherigen Vorstandes
  5. Neuwahl eines Vorstandes
  6. Zukunft des Kurt Tucholsky-Preises
  7. Verschiedenes
Die Mitgliederversammlung findet am Sonnabend, dem 5. November 2005 um 16.00 Uhr im Berlin-Saal der Landes- und Zentralbibliothek Berlin, Breite Straße 35 in Berlin-Mitte statt. Auf ein frohes und gesundes Wiedersehen im November in Berlin. Sehr herzlich,

Ihr Eckart Rottka


 
  Die Internationale Hanns Eisler Gesellschaft

Die Tagung der KTG rückt immer näher. Unter dem Titel »Wir leben in einer merkwürdigen Zeitung - Der Medienmensch Kurt Tucholsky« werden wir uns vom 3. bis 6. November in Berlin eingehend mit Tucholskys Beziehung zu den Medien, aber auch der Beziehung der Medien zu Tucholsky beschäftigen. Nun soll an dieser Stelle der Kooperationspartner der KTG vorgestellt werden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Berliner Tagungen wird die Veranstaltung mit einer anderen Vereinigung zusammen organisiert. Die Internationale Hanns Eisler Gesellschaft richtet die Tagung mit aus.

Die Internationale Hanns Eisler Gesellschaft e.V. (IHEG), hervorgegangen aus einer gemeinsamen Initiative von Stephanie Eisler und des Musikwissenschaftlers Dr. Albrecht Dümling, wurde am 21. Mai 1994 im Staatlichen Institut für Musikforschung in Berlin gegründet. Zum Präsidenten wurde der Komponist Prof. Wolfgang Hufschmidt, Autor eines Buches über Eisler und zuletzt Rektor der Folkwang Hochschule Essen, gewählt. Am 27. November des gleichen Jahres stellte sich die schon damals über 100 Mitglieder aus aller Welt umfassende Gesellschaft in einer Festlichen Matinee in der Akademie der Künste Berlin am Hanseatenweg der Öffentlichkeit vor.

Einmal im Jahr veranstaltet die IHEG ein Eisler-Fest, das mit der Mitgliederversammlung verbunden ist. Dabei wird in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern jeweils ein bestimmter Aspekt im Schaffen Eislers vorgestellt und diskutiert. Darüber hinaus organisiert und koordiniert die Gesellschaft vielfältige künstlerische und wissenschaftliche Unternehmungen zu Werk und Person Hanns Eislers sowie zur Förderung lebendiger Werkinterpretation. So veranstaltete sie im Februar 2001 einen Wettbewerk »JugendSzene politische Musik«; er richtete sich an Nachwuchsbands aus Berlin und Brandenburg, die eigene Stücke in einem weitgefasst politischen Kontext produzieren. Für die kommenden Jahre ist dieser Wettbewerb, der mit den Mitteln der Musik politische Meinungsbildung und Verantwortung fördern will, als bundesweiter Wettbewerb geplant.

Zu den weiteren Projekten der Gesellschaft gehören ein Kompositionspreis für innovativ-engagierte Chormusik sowie ein Interpretationspreis für Liedschaffen der Wiener Schule.

Den Vorsitz der Gesellschaft hat seit ihrer Gründung der Komponist und Rektor em. der Folkwang-Hochschule Essen, Prof. Wolfgang Hufschmidt, inne. Dem Präsidium der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft gehören Persönlichkeiten an, die sich um das Werk des Komponisten verdient gemacht haben, unter anderem das KTG-Ehrenmitglied Gisela May, der Dirigent Daniel Barenboim und die Regisseurin Margarethe von Trotta.

Quelle: www.hanns-eisler.de


 
  Aus der Geschichte der Tucholsky-Stiftung

Im Zusammenhang mit dem Tagungsthema bietet es sich auch an, über die Kurt Tucholsky-Stiftung zu sprechen, die sich in den letzten 35 Jahren um den literarischen Nachlass Tucholskys, die damit verbundenen rechtlichen Fragen und die Vermarktung kümmerte. Lange Zeit unterstützte die Stiftung auch den Kurt Tucholsky-Preis für literarische Publizistik, der auch im Rahmen der diesjährigen Tagung verliehen werden wird.

Prof. Dr. Fritz J. Raddatz, Autor und Vorstandsvorsitzender der Stiftung, konnte für einen Vortrag gewonnen werden. Für all diejenigen, denen die Arbeit der Stiftung nicht vertraut ist, und für all jene, die nicht an der Tagung teilnehmen können, soll hier ein Abriss der Geschichte und der Ziele der Stiftung abgedruckt werden.

Die Kurt Tucholsky-Stiftung wurde 1969 von Mary Tucholsky, der Witwe von Kurt Tucholsky gegründet, die zwar 1933, zwei Jahre vor seinem Tod, von ihm geschieden wurde, aber qua Testament seinen gesamten literarischen Nachlass sowie die Rechte an seinen Schriften geerbt hatte. Beraten und assistiert wurde sie bei der Stiftungsgründung von Prof. Dr. Fritz J. Raddatz, dem langjährigen Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, mit dem sie viele Jahre zuvor schon an diversen Editionen der Werke Kurt Tucholskys zusammengearbeitet hatte.

Mary Tucholskys Stiftung lagen zwei Motive zugrunde: Erstens wollte sie (da kinderlos) nicht, dass ihr kleines Vermögen, das sie aus den Tantiemen der Werke Kurt Tucholskys aufgebaut hatte, in private Hände gelangte; und sie wollte außerdem nicht, daß die weiterhin anfallenden Honorare für Tucholskys Schriften für öffentliche Zwecke verwendet würden, wie es der Fall gewesen wäre, wenn nach ihrem eigenen Ableben keine Stiftung vorhanden gewesen wäre. So verfügte Mary Tucholsky testamentarisch, daß das Urheberrecht am Werk Kurt Tucholskys, dessen Inhaberin sie seit dem Freitod von Kurt Tucholsky 1935 im schwedischen Exil ja war - nach ihrem Tod auf die Kurt Tucholsky-Stiftung übergehen solle.

Bis zu ihrem Tode im Jahre 1987 verwaltete sie das Urheberrecht und die Tantiemen selber und kontrollierte von ihrem kleinen Haus in Rottach am Tegernsee die Editionen, Nachdrucke, Filmrechte der Werke von Kurt Tucholsky. In diesem Haus baute sie seit Ende des Zweiten Weltkriegs über die Jahre hinweg das Kurt Tucholsky-Archiv auf und sammelte akribisch Manuskripte, Korrespondenzen, Erstveröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften sowie Schallplattenaufnahmen oder Fotografien. Noch zu Lebzeiten vermachte Mary Tucholsky dieses Archiv als Legat, also als Schenkung, dem Schiller Nationalmuseum in Marbach am Neckar, wo es seitdem unter der Schirmherrschaft der Stiftung weiter ausgebaut und im dort integrierten Deutschen Literaturarchiv archivarisch betreut wird.

Nach dem Tod von Mary Tucholsky ging also die gesamte Verwaltung und Nutzung des Urheberrechts an die Kurt Tucholsky-Stiftung über, die sämtliche Verträge mit Verlagen, mit Filmgesellschaften und Schallplatten- bzw. CD-Produzenten abschloß und mit Unterstützung des Rowohlt Verlages kontrollierte. Dem facettenreichen Charakter des Werks von Kurt Tucholsky entsprechend betrifft die Wahrung des Urheberrechts sowohl Kabarett- oder Chanson-Abende an Theatern oder Kleinkunstbühnen, als auch Buch- und Taschenbuchausgaben, vor allem auch die Mitbetreuung der großen 21-bändigen Tucholsky-Gesamtausgabe, die von einem Forscherteam der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg erarbeitet wird; bisher sind 15 der 21 Bände dieser Gesamtausgabe im Rowohlt Verlag erschienen. Das zweite Motiv für die Einrichtung der Kurt Tucholsky-Stiftung war, dass die aus der Werknutzung erwirtschafteten Tantiemen nicht in privater Weise verbraucht werden sollten. Daher gehört es von Anfang an zu den Aufgaben der Stiftung, einjährige Stipendien zu vergeben – je nach finanzieller Lage der Stiftung zwei oder drei pro Jahr. Diese Stipendien werden nach sorgfältiger Prüfung der eingereichten Bewerbungsunterlagen durch den Stiftungsvorsitzenden für jeweils zwölf Monate an einen Studenten oder eine Studentin zur Erarbeitung einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit (Magister-, Diplom- oder Doktorarbeit) vergeben. In Ausnahmefällen wird das Stipendium auch einem Team von Forschern zugesprochen.

Die Grundlage für die Vergabe – festgeschrieben in der Satzung der Stiftung – ist, dass es sich um eine Arbeit im Geiste der Völkerverständigung handeln soll – folgend dem Gedanken Kurt Tucholskys, daß das geistige Kennenlernen anderer Kulturen und Nationen Voraussetzung sein kann zur Verhinderung von Kriegen. Bekanntlich hat er die Verwüstungen des Ersten Weltkriegs in seinen Schriften besonders scharf angegriffen und immer wieder vor Nationalismus und Militarismus gewarnt.

Das bedeutet nun, dass es sich bei den Arbeiten, die mit einem Kurt Tucholsky Stipendium unterstützt werden, keineswegs ausschließlich um Arbeiten zum Werk oder über die Person Kurt Tucholskys handeln muss. Das ist eher selten und der Ausnahmefall. Es bedeutet allerdings, dass es sich immer um einen studentischen Austausch handeln muss: ein ausländischer Student bekommt das Stipendium für einen Studienaufenthalt an einer deutschen Universität - und umgekehrt ein deutscher Student für einen Studiengang an einer ausländischen Universität. So kann ein israelitischer oder türkischer Student beispielsweise in Berlin über die politischen wie kulturellen Probleme der Immigration in Deutschland arbeiten, oder ein deutscher Student über das Zentrum der deutschen Exilliteratur in Kalifornien. Dies sind nur zwei Beispiele aus einer langen Liste; seit Bestehen der Stiftung sind ca. 70 Stipendien vergeben worden, die stets diesem geistigen Programm verpflichtet waren und eine Reihe hervorragender Examensarbeiten hervorbrachten, die alle ebenfalls im Kurt Tucholsky Archiv in Marbach lagern.

Nach deutschem Recht erlischt das Urheberrecht am Werk eines Schriftstellers siebzig Jahre nach dem Tod des Autors. Im Falle Kurt Tucholsky also im Dezember 2005. Von diesem Datum an wird die Stiftung ihre Arbeit auf die Vergabe der Stipendien konzentrieren.

Prof. Dr. Fritz J. Raddatz

Prof. Raddatz wird am 05.11.2005 um 14.00 Uhr im Rahmen der KTG-Tagung seinen Vortrag »Gründung und Aufbau des Kurt Tucholsky-Archivs und der Kurt Tucholsky-Stiftung - Ein Rückblick auf vier Jahrzehnte« halten.


 
  Schwedische Impressionen in Tucholskys fünfter Jahreszeit

Unsere kombinierte Urlaubs- und Auftrittstournee zwischen dem Spätsommer und dem Frühherbst werden wir lange in guter Erinnerung behalten - wir, das war das aus meiner Frau, dem Pianisten Thomas Lazarek und mir bestehende Mini-Team des Zimmertheaters Karlshorst. Und das nicht nur wegen unseres gut aufgenommenen Tucholsky-Programms »Das Leben ist gar nicht so - es ist ganz anders...«, sondern wegen der schwedischen Impressionen überhaupt. Im positiven Gegensatz zu vielen unserer Landsfrauen und Landsmänner verkörpert der nördliche Ostsee-Anlieger den Prototyp des freundlichen, ausgewogenen Mitmenschen. Er verliert auch nicht die Fassung, wenn er bei einer der höchst seltenen Verkehrskontrollen (das Alkohol-Limit liegt bei 0,2 Promille) ermahnt oder ggf. zur Kasse gebeten wird. Er ballt weder das Gesicht zur Faust noch bringt er einen bestimmten Mittelfinger in eine bestimmte Lage - er bedankt sich höflich dafür, wieder auf den rechten Weg gebracht worden zu sein. Die Ausgeglichenheit unserer Nachbarn scheint sich auch auf die schwedischen Vierbeiner zu übertragen. Jedenfalls lächelten uns die Kühe, wenn wir an ihren Weiden vorüberfuhren, ermunternd zu, und diese Grundhaltung überträgt sich auch auf die schmackhafte Butter.

Mit Unterstützung von aus dem Harz und zugleich wegen Hartz nach Südschweden umgesiedelten Freunden kam es zu einem Gastspiel in Virserum/Smalland, das von über 30 deutsch sprechenden Schweden und schwedisch sprechenden Deutschen besucht wurde. Das Interesse bezog sich nicht nur auf das Programm und auf den Autor, sondern auch auf die Existenz und das Anliegen der Kurt Tucholsky-Gesellschaft.

Den mit Spannung erwarteten Höhepunkt bildete am 20. August der Auftritt in Mariefred, dessen Idee zwei Jahre zuvor bei einem Gripsholm-Besuch und einem Gespräch mit unserem KTG-Mitglied Maren von Bothmer geboren worden war. Maren hatte das Gastspiel in Zusammenarbeit mit der deutschen Botschaft in Stockholm und dem rührigen Partnerschaftsverein Mariefred - Rheinsberg langfristig und engagiert vorbereitet. Außerdem waren »Svenska PEN« und die Leitung von »Grafikens Hus«, in dem die Veranstaltung durchgeführt wurde, mit von der Partie.

Um die 80 interessierte Zuhörer hatten sich eingefunden - Einheimische, Zugezogene, Angereiste und Urlauber -, als Botschaftsrat Dr. Hempel die Anwesenden begrüßte. »Es ist kaum zu glauben«, führte er aus, »dass sich am 21. Dezember Kurt Tucholskys Tod zum 70. Male jährt - so beklemmend-aktuell sind viele seiner Texte«. Danach zitierte der Botschaftsrat das Tucholsky-Wort »Nichts ist schöner und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.«

Mit großem Beifall wurde seine anschließende Erklärung quittiert, dass die Pflege der Mariefreder Grabstätte des Schriftstellers nach dem Rückzug der Tucholsky-Stiftung vom Auswärtigen Amt in Berlin übernommen wird. Das sich nach den Willkommensworten des Vorsitzenden des Partnerschaftsvereins und des Chefs des Hauses anschließende Programm wurde mit viel Applaus bedacht, die geforderten Zugaben eingeschlossen. Zu einer Tucholsky-Ehrung besonderer Art gestaltete sich ein anschließender Empfang in der ehemaligen Schloßküche des Wasa-Schlosses Gripsholm, in dessen Verlauf sich wiederum die Gelegenheit bot, über die Arbeit der KTG zu informieren. Dass im Ergebnis der Gespräche drei Tucholsky-Interessenten, darunter eine Deutschlehrerin des Europa-Gymnasiums in Strängnäs, um die Mitgliedschaft ersuchten, verstauten wir gern in unserem Reisegepäck.

Der ereignisreiche Tag klang mit einem mitternächtlichen Bummel durch den schlafenden idyllischen Ort und durch den Rotkreuz-Schulungs- und Hotelkomplex aus, der uns bei der Jahrestagung 1994 ebenfalls als Domizil gedient hatte. Beim Begehen des Geländes erinnerte ich mich mancher Vereinsmitglieder, die damals dabei gewesen waren und inzwischen vom Tode ereilt worden sind: Britta und Michael Hepp, Rosalinde v. Ossietzky-Palm ...

Wir genossen die linde Nacht der fünften Jahreszeit an historischer Stelle und blickten zurück auf das Schloß, auf dessen Turm romantisch der Vollmond thronte. »Kein Blatt bewegt sich, es ist ganz still ... Der See liegt wie gemalt ... Aufgespartes wird dahingegeben - es ruht ...«.

Abgerundet wurde unser Mariefreder Aufenthalt am Sonntagvormittag durch einen Besuch an der gut ausgeschilderten Grabstätte. Es erfüllte uns mit Genugtuung, dass während unserer halbstündigen Anwesenheit weitere zehn Personen erschienen, um unserem Namenspatron die Reverenz zu erweisen ...

Wolfgang Helfritsch


 
  Aus der Gesellschaft

Unser Mitglied Tamara Gordijenko, schrieb mir einen Brief, dass Sie von der Zeitschrift »Russische Philologie« gebeten wurde, etwas von Tucholsky zu veröffentlichen. Sie spricht viel über ihn und hat ihm immer im Programm, wenn sie Vorlesungen über ausländische Literatur für ihre Studenten hält.

Sie schreibt weiter:
»Aber jetzt, zusätzlich zur Grundzeitschrift, begannen sie, eine speziell für Schüler herauszugeben. Darin erschien meine Übersetzung der Parodie ‘Hitler und Goethe’ mir Kommentaren. Irgendwann hatte ich die Übersetzung in meinen Aspirantenjahren in einer der Sibirischen Zeitungen (in Omsk) veröffentlicht. Die Idee, im Zusammenhang mit dieser Veröffentlichung einen Wettbewerb für den besten Aufsatz auszuschreiben, liegt bei der Redaktion. Was sie daraus machen, weiß ich nicht. Aber ich denke, man muss ihnen jede Hilfe zukommen lassen, damit sich das in die richtige Richtung entwickelt. Was meinen Sie?

Und noch: es kann sein, dass das ein Wink mit dem Schicksal ist und ich in jene Jahre zurückkehren muss, als ich mich noch viel und ernsthaft mit Tucholsky befasst habe und jetzt ein kleines Sammelbuch in Russisch von ihm zusammenstelle. Einen Herausgeber zu finden, ist unter den jetzigen Bedingungen schwierig. Freizeit habe ich fast keine, aber immer öfter denke ich, dass man es versuchen soll. (...)

In Russland habe ich wahrscheinlich die größte Sammlung seiner Werke. Dank Mary habe ich seltene Exemplare: sowohl die Gesammelten Werke als auch Sammelbände.«

Brigitte Rothert

In der »Wissenschaftlich-populären Zeitschrift - Russische Sprache und Literatur für Schüler« Nr. 4/2004, S. 6-10 ist die oben erwähnte Übersetzung von Frau Gordijenko abgedruckt und ausführlich von ihr kommentiert.


 
  Manfred Messerschmidt: »Die Wehrmachtjustiz 1933–1945« - ein NS-Terrorinstrument

Ein Besuch im »Militärgeschichtlichen Forschungsamt« zählt traditionell nicht zu den Gepflogenheiten eines pazifistisch gesinnten KTG-Mitgliedes. Idyllisch in einem Außenbezirk Potsdams gelegen, wird dem voreingenommenen Gast durch eine große, an die martialischen Schilder rund um militärische Schießplätze erinnernde Tafel darauf hingewiesen, dass er Militärgelände zu betreten im Begriff ist.

Auch die im »Meier-Welcker-Saal« eintreffenden Zuhörer lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass es sich um eine hochgradig vom Militär bestimmte Versammlung handeln muss. Eine Vielzahl in Dienstkleidung erschienener Herren - und einzelner Damen – macht deutlich, dass ein Thema auf der Tagesordnung stehen muss, dem nicht im schlichten Zivil begegnet werden kann. (Zwar trugen die Gastgeber und Gäste auf ihren Uniformen deutlich lesbare Namensschilder; die Bedeutung der zusätzlich angebrachten Sterne und Streifen vermochte der Rezensent aber erst im Nachhinein einer Bildtafel seines Brockhaus-Lexikons entnehmen.)

Offensichtlich ging es dem Laudator, Bundesjustizminister a.D. Dr. Hans-Jochen Vogel, ähnlich, der in seiner förmlichen Begrüßung den Hausherrn nicht mit seinem militärischen Rang, sondern mit dem zivilistischen »Herr Amts-Chef« titulierte.

Auch anschließend nahm Hans-Jochen Vogel, Jahrgang 1926, der seine militärische Karriere in Hitlers Wehrmacht mit dem Rang eines »Oberjägers« beendet hatte, bei der Würdigung des vorzustellenden Buches keine Rücksicht auf altvertraute Sprachregelungen der Militärs. Er räumte in der Würdigung Professor Dr. Manfred Messerschmidts »Die Wehrmachtjustiz. 1933-1945« mit der Legende auf, nach der die Militärgerichte in der Zeit des NS-Regimes ein Hort der Unabhängigkeit und Menschlichkeit gewesen seien. Er stellte klar, dass Messerschmidt in seiner Monographie akribisch und eindeutig nachgewiesen habe, »wie rasch die schon im Jahr 1933 wieder eingeführten Militärgerichte zu Vollzugsorganen der NS-Ideologie geworden sind«. Dabei seien rechtsstaatliche Prinzipien schnell irrelevant geworden und durch den »Führerwillen« als maßgebender Quelle des Rechts ersetzt worden.

Tatsächlich zerstört Messerschmidt in seinem umfangreichen Werk radikal die Geschichts-Klitterung, deutsche Militärgerichte hätten auch nur versucht, rechtsstaatlichen Ansprüchen bei der Verhängung der unglaublichen Zahl von Todesurteilen gerecht zu werden. Mit einer Vielzahl von Einzelbeispielen weist der Autor nach, wie es der deutschen Militärjustiz gelungen ist, bis in die letzten Wochen des Krieges, die deutsche Wehrmacht als ein funktionierendes Instrument der NS-Schreckensherrschaft zu erhalten.

Messerschmidts Monographie - von Vogel ebenso wie dessen Lebenswerk als »hohen Respekt verdienend« gepriesen – macht deutlich, wie wichtig es ist, die Erinnerung an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte wach zu halten. Diese Forderung wird nicht mit mahnenden Worten erhoben, sondern ergibt sich folgerichtig und zwangsläufig aus der wissenschaftlich-historischen Auseinandersetzung mit den Taten und Untaten der deutschen Militärjustiz in den Jahren 1933-1945.

Manfred Messerschmidt (seit 2001 Mitglied der KTG) wies in einer kurzen Erwiderung auf Vogels Laudatio darauf hin, - und das war wohl für das Stammbuch uniformierter Zuhörer bestimmt - dass die Verbrechen der deutschen Wehrmachtjustiz nicht allein von Juristen begangen wurden, da die Entscheidung über den Bestand eines Todesurteils fast immer beim so genannten Gerichtsherrn lag, und das war stets ein hoher deutscher Offizier oder General.

Professor Messerschmidts Buch ist ein bemerkens- und lesenswertes Ergebnis seiner langjährigen Forschungsarbeit, die 1970-1988, als er Leitender Historiker des Militärgeschichten Forschungsamts war, nicht ohne Behinderungen und Anfeindungen von Seiten bestimmter Kreise blieb. Dies hält den Autor glücklicherweise nicht davon ab, darauf hinzuweisen, dass viele der Täter innerhalb der Wehrmachtjustiz von 1933-1945 es für selbstverständlich hielten, in der Bundesrepublik Deutschland wieder als Richter, Staatsanwälte oder als Ministerialbeamte tätig sein zu können.

Eckart Rottka

Manfred Messerschmidt: Die Wehrmachtjustiz 1933-1945. Schöningh Verlag 2005, XIV, 512 S. Leinen m. Schutzumschlag, 39,90 Euro


Redaktion: Maren Düsberg