Die Kurt-Tucholsky-Stiftung

 
  Der Zweck der Kurt-Tucholsky-Stiftung wird im entsprechenden Abschnitt der Stiftungssatzung wie folgt definiert:

"Ausschließlicher und unmittelbarer Zweck der Stiftung ist es, im Geiste Kurt Tucholskys die internationale Verständigung zu fördern und zu diesem Zweck insbesondere Studenten der Germanistik, Publizistik, Soziologie und der Politologie, die bereit sind, im Geiste Kurt Tucholskys auf ihrem Fachgebiet wissenschaftlich zu wirken, einen einjährigen Studienaufenthalt im Ausland zu gewähren und/oder ausländischen Studenten unter den gleichen Voraussetzungen einen einjährigen Studienaufenthalt in der Bundesrepublik zu gewähren."

Anfragen und Anträge können nur schriftlich erfolgen:

Kurt-Tucholsky-Stiftung
c/o RA Joachim Kersten
Postfach 13 08 51
20108 Hamburg

Fax: + 4940 450 24 141
E-Mail: ktstiftung@skne.de

Vorstand: Joachim Kersten (Vors.), Matthias Biermann-Ratjen, Dr. Erdmut Wizisla


Aus der Geschichte der Tucholsky-Stiftung

Von Fritz J. Raddatz, September 2005
Die Kurt-Tucholsky-Stiftung wurde 1969 von Mary Tucholsky, der Witwe von Kurt Tucholsky gegründet, die zwar 1933, zwei Jahre vor seinem Tod, von ihm geschieden wurde, aber qua Testament seinen gesamten literarischen Nachlass sowie die Rechte an seinen Schriften geerbt hatte. Beraten und assistiert wurde sie bei der Stiftungsgründung von Prof. Dr. Fritz J. Raddatz, dem langjährigen Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, mit dem sie viele Jahre zuvor schon an diversen Editionen der Werke Kurt Tucholskys zusammengearbeitet hatte.

Mary Tucholskys Stiftung lagen zwei Motive zugrunde: Erstens wollte sie (da kinderlos) nicht, dass ihr kleines Vermögen, das sie aus den Tantiemen der Werke Kurt Tucholskys aufgebaut hatte, in private Hände gelangte; und sie wollte außerdem nicht, daß die weiterhin anfallenden Honorare für Tucholskys Schriften für öffentliche Zwecke verwendet würden, wie es der Fall gewesen wäre, wenn nach ihrem eigenen Ableben keine Stiftung vorhanden gewesen wäre. So verfügte Mary Tucholsky testamentarisch, daß das Urheberrecht am Werk Kurt Tucholskys, dessen Inhaberin sie seit dem Freitod von Kurt Tucholsky 1935 im schwedischen Exil ja war - nach ihrem Tod auf die Kurt Tucholsky-Stiftung übergehen solle.

Bis zu ihrem Tode im Jahre 1987 verwaltete sie das Urheberrecht und die Tantiemen selber und kontrollierte von ihrem kleinen Haus in Rottach am Tegernsee die Editionen, Nachdrucke, Filmrechte der Werke von Kurt Tucholsky. In diesem Haus baute sie seit Ende des Zweiten Weltkriegs über die Jahre hinweg das Kurt Tucholsky-Archiv auf und sammelte akribisch Manuskripte, Korrespondenzen, Erstveröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften sowie Schallplattenaufnahmen oder Fotografien. Noch zu Lebzeiten vermachte Mary Tucholsky dieses Archiv als Legat, also als Schenkung, dem Schiller Nationalmuseum in Marbach am Neckar, wo es seitdem unter der Schirmherrschaft der Stiftung weiter ausgebaut und im dort integrierten Deutschen Literaturarchiv archivarisch betreut wird.

Nach dem Tod von Mary Tucholsky ging also die gesamte Verwaltung und Nutzung des Urheberrechts an die Kurt-Tucholsky-Stiftung über, die sämtliche Verträge mit Verlagen, mit Filmgesellschaften und Schallplatten- bzw. CD-Produzenten abschloß und mit Unterstützung des Rowohlt Verlages kontrollierte. Dem facettenreichen Charakter des Werks von Kurt Tucholsky entsprechend betrifft die Wahrung des Urheberrechts sowohl Kabarett- oder Chanson-Abende an Theatern oder Kleinkunstbühnen, als auch Buch- und Taschenbuchausgaben, vor allem auch die Mitbetreuung der großen 21-bändigen Tucholsky-Gesamtausgabe, die von einem Forscherteam der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg erarbeitet wird; bisher sind 15 der 21 Bände dieser Gesamtausgabe im Rowohlt Verlag erschienen. Das zweite Motiv für die Einrichtung der Kurt-Tucholsky-Stiftung war, dass die aus der Werknutzung erwirtschafteten Tantiemen nicht in privater Weise verbraucht werden sollten. Daher gehört es von Anfang an zu den Aufgaben der Stiftung, einjährige Stipendien zu vergeben – je nach finanzieller Lage der Stiftung zwei oder drei pro Jahr. Diese Stipendien werden nach sorgfältiger Prüfung der eingereichten Bewerbungsunterlagen durch den Stiftungsvorsitzenden für jeweils zwölf Monate an einen Studenten oder eine Studentin zur Erarbeitung einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit (Magister-, Diplom- oder Doktorarbeit) vergeben. In Ausnahmefällen wird das Stipendium auch einem Team von Forschern zugesprochen.

Die Grundlage für die Vergabe – festgeschrieben in der Satzung der Stiftung – ist, dass es sich um eine Arbeit im Geiste der Völkerverständigung handeln soll – folgend dem Gedanken Kurt Tucholskys, daß das geistige Kennenlernen anderer Kulturen und Nationen Voraussetzung sein kann zur Verhinderung von Kriegen. Bekanntlich hat er die Verwüstungen des Ersten Weltkriegs in seinen Schriften besonders scharf angegriffen und immer wieder vor Nationalismus und Militarismus gewarnt.

Das bedeutet nun, dass es sich bei den Arbeiten, die mit einem Kurt-Tucholsky-Stipendium unterstützt werden, keineswegs ausschließlich um Arbeiten zum Werk oder über die Person Kurt Tucholskys handeln muss. Das ist eher selten und der Ausnahmefall. Es bedeutet allerdings, dass es sich immer um einen studentischen Austausch handeln muss: ein ausländischer Student bekommt das Stipendium für einen Studienaufenthalt an einer deutschen Universität - und umgekehrt ein deutscher Student für einen Studiengang an einer ausländischen Universität. So kann ein israelitischer oder türkischer Student beispielsweise in Berlin über die politischen wie kulturellen Probleme der Immigration in Deutschland arbeiten, oder ein deutscher Student über das Zentrum der deutschen Exilliteratur in Kalifornien. Dies sind nur zwei Beispiele aus einer langen Liste; seit Bestehen der Stiftung sind ca. 70 Stipendien vergeben worden, die stets diesem geistigen Programm verpflichtet waren und eine Reihe hervorragender Examensarbeiten hervorbrachten, die alle ebenfalls im Kurt-Tucholsky-Archiv in Marbach lagern.

Nach deutschem Recht erlischt das Urheberrecht am Werk eines Schriftstellers siebzig Jahre nach dem Tod des Autors. Im Falle Kurt Tucholsky also im Dezember 2005. Von diesem Datum an wird die Stiftung ihre Arbeit auf die Vergabe der Stipendien konzentrieren.